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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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den Wänden. Bilder aus vergangenen Tagen, die das
quartier
zeigten, das Restaurantpersonal, das stolz auf dem Bürgersteig posierte, der
patron
und seine voluminöse Frau in steifem Sonntagsstaat, umringt von Kellnern mit schwarzen Schnurrbärten und steifen weißen Krägen. Eine Aufnahme der alten Straßenbahn auf der Rue d’Amsterdam, eine andere, moderne von der berühmten Skulptur mit den aufgetürmten Uhren vor der Bahnhofshalle des Gare Saint-Lazare.
    Am besten jedoch war eine Fotografie, die sie wiedererkannte. Meredith lächelte. Über der Tür zur Küche hing neben einer Studioaufnahme von einer Frau mit einem jüngeren Mann und einem Mädchen mit vollem, ungebärdigem Haar eines der bekanntesten Fotos von Debussy. Es wurde 1885 , als er gerade einmal 23  Jahre alt war, vor der Villa Medici in Rom aufgenommen, und er blickte mit seiner gewohnten mürrisch-düsteren Miene in die Kamera. Sein schwarzes lockiges Haar war über der Stirn kurz geschnitten, und mit den ersten Anzeichen eines Schnurrbarts war er unverkennbar. Meredith hatte vor, es als Illustration für die Umschlagrückseite ihres Buches zu verwenden.
    »Er hat hier in dieser Straße gelebt«, sagte sie zu dem Kellner, während sie ihre PIN -Nummer eintippte. Sie zeigte auf das Foto. »Claude Debussy. Da vorne.«
    Der Kellner zuckte die Achseln und schaute desinteressiert, bis er die Höhe des Trinkgeldes sah. Dann lächelte er.

Kapitel 11
    D er Rest des Nachmittags verlief nach Plan.
    Meredith arbeitete die übrigen Adressen auf ihrer Liste ab, und als sie gegen sechs wieder ins Hotel kam, hatte sie alle Orte in Paris abgeklappert, an denen Debussy je gelebt hatte. Sie duschte und zog eine weiße Jeans und einen blassblauen Pullover an. Sie lud die Fotos von ihrer Digitalkamera auf den Laptop, überprüfte ihre E-Mails – noch immer kein Geld –, dann aß sie eine Kleinigkeit in der Brasserie gegenüber und rundete den Abend mit einem grünen Cocktail an der Hotelbar ab, der ekelig aussah, aber erstaunlich gut schmeckte.
    Zurück in ihrem Zimmer, hatte sie auf einmal das Bedürfnis, eine vertraute Stimme zu hören. Sie rief zu Hause an.
    »Hi, Mary. Ich bin’s.«
    »Meredith!«
    Das Beben in der Stimme ihrer Mutter trieb Meredith Tränen in die Augen. Auf einmal fühlte sie sich sehr weit weg von zu Hause und sehr allein.
    »Wie geht’s dir?«, fragte sie.
    Sie unterhielten sich eine Weile. Meredith erzählte Mary haarklein, was sie alles seit ihrem letzten Telefonat unternommen hatte und wo sie seit ihrer Ankunft in Paris schon überall gewesen war, obwohl ihr die Dollars, die sie jede verplauderte Minute kosteten, schmerzlich bewusst waren.
    Sie hörte das Zögern durch die Leitung. »Und, läuft das andere Projekt?«, fragte Mary.
    »Daran denke ich im Moment gar nicht. Hab hier in Paris einfach zu viel zu tun. Nach dem Wochenende, wenn ich in Rennes-les-Bains bin, werde ich mich darauf konzentrieren.«
    »Aber mach dir bitte keine Sorgen«, sagte Mary hastig, was verriet, wie sehr ihr die Sache auf der Seele lag. Sie hatte stets großes Verständnis gehabt für Merediths Bedürfnis, mehr über ihre Herkunft herauszufinden. Gleichzeitig wusste Meredith aber auch von Marys Bedenken, was dabei ans Licht kommen könnte. Ihr selbst erging es nicht anders. Was, wenn sich herausstellte, dass die Krankheit, das Unglück, von dem das gesamte Leben ihrer leiblichen Mutter überschattet gewesen war, schon immer in der Familie gelegen hatte? Was, wenn sie anfing, dieselben Symptome zu zeigen?
    »Ich mach mir keine Sorgen«, sagte sie ein wenig barsch, bereute es aber gleich wieder. »Mir geht’s gut. Eigentlich bin ich bloß gespannt. Ich halte dich auf dem Laufenden. Versprochen.«
    Sie unterhielten sich noch ein paar Minuten und verabschiedeten sich dann.
    »Du fehlst mir.«
    »Du fehlst mir auch«, kam die Antwort über Tausende von Meilen.
     
    Am Sonntagmorgen machte Meredith sich auf den Weg zur Opéra de Paris im Palais Garnier.
    Seit 1989 hatte Paris ein neues Opernhaus aus Beton am Place de la Bastille, daher wurde das Palais Garnier nun hauptsächlich für Ballettaufführungen genutzt. Aber zu Debussys Zeit war das prächtige, üppig verzierte Barockgebäude der Ort, wo man sah und gesehen wurde. Es war nicht nur der Schauplatz der berühmt-berüchtigten Anti-Wagner-Tumulte im September 1891 , sondern bildete auch den Hintergrund für Gaston Leroux’ Roman
Das Phantom der Oper.
    Meredith brauchte fünfzehn Minuten bis zu ihrem Ziel.

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