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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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selbst, wie sie es schon so viele Male zuvor hatte tun müssen. Sie machte ihren Kopf frei, tilgte sein Bild aus ihren Gedanken. Selbst jetzt noch empfand sie vor allem Scham darüber, dass ihr Herz einen Sprung gemacht hatte, als sie die Tür geöffnet und ihn in die Wohnung gelassen hatte.
    Wollust und Gewalt, das alte Bündnis. Sie hatte es zahllose Male erlebt. Auf den Barrikaden der Kommune, in dunklen Seitenstraßen, versteckt hinter der anständigen Fassade der vornehmen Salons, in denen sie sich zuletzt bewegt hatte. So viele Männer, die von Hass getrieben wurden, nicht von Begehren. Marguerite hatte sich das zunutze gemacht. Sie hatte ihr Aussehen eingesetzt, ihren Charme, um ihrer Tochter das Leben zu ersparen, das sie gehabt hatte.
    »Wo ist Vernier?«
    Er band sie los und zerrte sie vom Stuhl zu Boden.
    »Wo ist Vernier?«
    »Ich weiß nicht …«
    Er hielt sie fest und schlug sie wieder. Und wieder.
    »Wo ist Ihr Sohn?«
    Als Marguerite allmählich das Bewusstsein verlor, hatte sie nur den Gedanken, ihre Kinder zu schützen. Sie nicht an diesen Mann zu verraten. Sie musste ihm irgendwas liefern.
    »Rouen«, log sie durch blutige Lippen hindurch. »Sie sind nach Rouen gefahren.«

Kapitel 22
    ∞
    Rennes-les-Bains
    N achdem Léonie und Anatole sich die wenigen Sehenswürdigkeiten von Couiza angeschaut hatten, standen sie um Viertel nach vier wartend auf dem Platz vor dem Bahnhof, während der Kutscher das Gepäck in den
courrier publique
lud.
    Anders als die Droschken, die Léonie in Carcassonne gesehen hatte, die mit ihren schwarzen Ledersitzen und den offenen Verdecken eher den Landauern ähnelten, die auf der Avenue du Bois de Boulogne auf und ab fuhren, war dieser
courrier
ein deutlich rustikaleres Transportmittel. Im Grunde handelte es sich um einen Bauernkarren mit zwei rotgestrichenen Holzbänken innen an den Längsseiten. Es gab keine Sitzkissen, und er war ringsum offen, bis auf ein Stück dunkles Segeltuch, das als Sonnenschutz über einen dünnen Metallrahmen gespannt war.
    Die Pferde, beides Grauschimmel, trugen weißbestickte Fransenbänder über den Ohren, um die Insekten abzuhalten.
    Zu den anderen Passagieren zählte ein älterer Mann aus Toulouse mit seiner sehr viel jüngeren Frau. Zwei ältliche vogelähnliche Schwestern zwitscherten unter ihren Hüten leise miteinander.
    Léonie stellte erfreut fest, dass ihr Gesprächspartner vom Mittagessen im Grand Café Guilhem, Dr. Gabignaud, ebenfalls mitfahren würde. Leider wich Maître Fromilhague ihm nicht von der Seite. Alle paar Minuten zog er seine Uhr an der Kette aus der Westentasche und klopfte auf die Glasabdeckung des Zifferblattes, als argwöhnte er, sie sei stehengeblieben, ehe er sie wieder wegsteckte.
    »Offenbar ein Mann, auf den dringende Aufgaben warten«, flüsterte Anatole. »Der nimmt gleich selbst die Zügel in die Hand, wenn wir nicht aufpassen.«
    Sobald alle Platz genommen hatten, kletterte der Fahrer auf den Kutschbock. Er hockte sich mit weitgespreizten Beinen auf eine bunte Sammlung von Koffern und Taschen und behielt die Uhr oben am Bahnhofsgebäude im Auge. Als sie die halbe Stunde schlug, ließ er seine Peitsche knallen, und die Kutsche setzte sich mit einem Ruck in Bewegung.
    Bald darauf waren sie auf der offenen Straße, die in westlicher Richtung aus Couiza hinausführte. Die Strecke verlief zwischen hohen Bergen in einem Tal am Fluss entlang. Nachdem ein strenger Winter und nasser Frühling weite Teile Frankreichs heimgesucht hatten, war hier ein Garten Eden entstanden. Statt sonnenverbrannter Erde gab es üppige Weiden, grün und fruchtbar, dichtbewaldete Hänge mit Tannen und Steineichen, Haselnussbäumen und Esskastanien und Buchen. Linker Hand sah Léonie hoch auf einem Berg die Silhouette einer Burgruine. Ein altes Holzschild am Straßenrand verkündete, dass es sich um das Dorf Coustaussa handelte.
    Gabignaud saß neben Anatole und machte ihn auf Besonderheiten der Gegend aufmerksam. Beim Crescendo der Räder auf der Straße und dem Klappern der Pferdegeschirre bekam Léonie nur Bruchstücke ihrer Unterhaltung mit.
    »Und das da?«, sagte Anatole.
    Léonie blickte in die Richtung, in die ihr Bruder zeigte. Hoch oben auf einem zerklüfteten Felsen konnte sie so eben ein winziges Bergdorf erkennen, das in der sengenden Nachmittagshitze flimmerte, kaum mehr als eine Ansammlung von Hütten, die sich an den steilen Hang klammerten.
    »Rennes-le-Château«, antwortete Gabignaud. »Kaum zu glauben, wenn man

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