Die achte Karte
unterdrückte.
»Wie dem auch sei, Gabignaud, das ist möglicherweise kein angemessenes Gesprächsthema in Anwesenheit einer jungen Dame.«
»Selbstverständlich, selbstverständlich«, stammelte der Doktor. »Mein berufliches Interesse als Mediziner lässt mich mitunter vergessen, dass solche Materien nicht …«
»Machen Sie in Rennes-les-Bains eine Kur?«, fragte Fromilhague bemüht höflich.
Anatole schüttelte den Kopf. »Wir werden auf dem Anwesen unserer Tante wohnen, außerhalb des Ortes. Die Domaine de la Cade.«
Léonie sah in den Augen des Doktors Verblüffung aufblitzen.
Oder Sorge?
»Ihre Tante?«, sagte Gabignaud. Léonie beobachtete ihn genau.
»Die Gattin unseres verstorbenen Onkels, um genau zu sein«, erwiderte Anatole, der offenbar Gabignauds Erstaunen ebenfalls bemerkt hatte. »Jules Lascombe war der Halbbruder unserer Mutter. Wir hatten bislang noch nicht das Vergnügen, unsere Tante kennenzulernen.«
»Beunruhigt Sie irgendetwas, Dr. Gabignaud?«, fragte Léonie.
»Nein, nein. Nicht im Geringsten. Verzeihen Sie, ich … ich habe nicht gewusst, dass Lascombe sich glücklich schätzen konnte, so nahe Verwandte zu haben. Er lebte recht zurückgezogen und erwähnte nie … Offen gestanden, Mademoiselle Vernier, wir waren alle überrascht, als er sich zur Ehe entschloss, und das in seinem fortgeschrittenen Alter. Lascombe schien ein eingefleischter Junggeselle zu sein. Und eine Frau in ein solches Haus zu holen, ein Haus von so unheilvollem Ruf, nun …«
Léonie merkte auf. »Unheilvoller Ruf?«
Aber Anatoles Interesse richtete sich auf eine andere Frage. »Sie kannten Lascombe, Gabignaud?«
»Nicht besonders gut, aber wir waren Bekannte. Ich glaube, sie haben in den ersten Jahren ihrer Ehe hier den Sommer verbracht. Madame Lascombe zog das Leben in der Stadt vor und war daher häufig monatelang nicht auf der Domaine de la Cade.«
»Waren Sie nicht Lascombes Leibarzt?«
Gabignaud schüttelte den Kopf. »Nein, diese Ehre hatte ich nicht. Er ging zu einem Arzt in Toulouse. Seine Gesundheit war schon viele Jahre angegriffen, wenngleich sein Ableben dann doch schneller kam als erwartet. Ursache war die schreckliche Kälte zu Jahresbeginn. Als abzusehen war, dass er sich nicht wieder erholen würde, kehrte Ihre Tante Anfang Januar auf die Domaine de la Cade zurück. Lascombe starb einige Tage darauf. Natürlich gab es Gerüchte, sein Tod sei die Folge von …«
»Gabignaud!«, unterbrach Fromilhague. »Hüten Sie Ihre Zunge!«
Erneut errötete der junge Doktor.
Fromilhague zeigte sein anhaltendes Missfallen, indem er den Kellner rief und dann haargenau aufzählte, was sie verzehrt hatten, um die Rechnung zu bestätigen, wodurch jedes weitere Gespräch zwischen den beiden Tischen unmöglich gemacht wurde.
Anatole gab ein großzügiges Trinkgeld. Fromilhague warf einen Schein auf den Tisch und erhob sich. »Mademoiselle Vernier, Vernier«, sagte er schroff und lüftete den Hut. »Gabignaud. Wir haben noch einiges zu erledigen.«
Zu Léonies Verwunderung trabte der Doktor wortlos hinterdrein.
»Warum darf denn über Lamalou nicht gesprochen werden?«, wollte Léonie wissen, sobald die beiden außer Hörweite waren. »Und wieso lässt sich Dr. Gabignaud so von Maître Fromilhague herumkommandieren?«
Anatole grinste. »Lamalou hat eine berüchtigte Berühmtheit erlangt, weil dort die neuesten medizinischen Fortschritte bei der Behandlung der Syphilis – der Lues – gemacht wurden«, antwortete er. »Und was sein Verhalten betrifft, so könnte ich mir vorstellen, dass Dr. Gabignaud auf die Unterstützung des Maître angewiesen ist. In einer Kleinstadt entscheidet so etwas über Erfolg und Scheitern einer Arztpraxis.« Er lachte kurz auf. »Aber Lamalou-les-Bains! Ich bitte dich!«
Léonie dachte nach. »Aber wieso um alles in der Welt war Dr. Gabignaud dermaßen überrascht darüber, dass wir auf der Domaine de la Cade wohnen werden? Und was hat er damit gemeint, dass das Haus einen unheilvollen Ruf hat?«
»Gabignaud redet zu viel, und Fromilhague hat was gegen Klatsch und Tratsch. Das ist alles.«
Léonie schüttelte den Kopf. »Nein, da steckt mehr dahinter«, widersprach sie. »Maître Fromilhague war fest entschlossen, ihn am Reden zu hindern.«
Anatole zuckte die Achseln. »Fromilhague scheint mir ein kleiner Choleriker zu sein, der leicht reizbar ist. Es stört ihn einfach, dass Gabignaud losplappert wie eine Frau!«
Léonie registrierte den Seitenhieb und
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