Die achte Karte
dem Champ de Mars an einem Duell teilgenommen, zwar nur als Sekundant, nicht als Duellant, aber immerhin … Die Zeitung hat Uhrzeit, Datum und Namen abgedruckt. Vernier konnte beweisen, dass er zur fraglichen Zeit woanders war. Er behauptete, nicht zu wissen, wer hinter diesen Verleumdungen steckt.«
Laboughe registrierte den Unterton. »Sie glauben ihm nicht?«
Der Inspektor schaute skeptisch. »Anonyme Attacken sind für die Betroffenen nur selten wirklich anonym. Dann wurde er im Februar dieses Jahres in einen Skandal verwickelt, bei dem es um den Diebstahl eines seltenen Manuskripts aus der Bibliothèque de l’Arsenal ging.«
Laboughe schlug sich aufs Knie. »Das ist es. Deshalb kommt mir der Name bekannt vor.«
»Vernier war aufgrund seiner Geschäftsaktivitäten ein regelmäßiger und geschätzter Besucher. Im Februar wurde nach einem anonymen Hinweis festgestellt, dass ein äußerst kostbarer okkultistischer Text vermisst wurde.« Thouron konsultierte erneut seine Unterlagen. »Das Werk eines gewissen Robert Fludd.«
»Nie gehört.«
»Vernier konnte nichts nachgewiesen werden, und da durch diese Angelegenheit die überaus mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen in der Bibliothèque zutage traten, wurde der Skandal vertuscht.«
»Gehört Vernier zu diesen Esoterikern?«
»Anscheinend nicht, nur eben im Rahmen seiner Arbeit als Sammler.«
»Wurde er vernommen?«
»Ja. Und erneut war es ein Leichtes, seine Unschuld zu beweisen. Und erneut verneinte er die Frage, ob er von Personen wisse, die ihm durch derartige Beschuldigungen übelwollten. Uns blieb keine andere Wahl, als die Sache fallenzulassen.«
Laboughe schwieg einen Moment, während er das Gehörte verarbeitete.
»Wie sieht es mit Verniers Einkommen aus?«
»Unregelmäßig«, erwiderte Thouron, »aber keineswegs unerheblich. Er nimmt etwa zwölftausend Francs im Jahr ein, aus verschiedenen Quellen.« Er blickte nach unten. »Sein Posten im Beirat der Fachzeitschrift bringt ihm rund sechstausend Francs. Die Büroräume liegen in der Rue Montorgueil. Zusätzlich verdient er etwas mit Artikeln für andere Fachzeitschriften und Journale, und seine Gewinne an den
Rouge-et-noir
-Tischen und aus anderen Kartenspielen tragen sicherlich auch zur Einkommensaufbesserung bei.«
»Irgendein Erbe zu erwarten?«
Thouron schüttelte den Kopf. »Nach der Verurteilung seines Vaters als Kommunarde wurde dessen Vermögen konfisziert. Vernier
père
war Einzelkind, und seine Eltern sind schon lange tot.«
»Und Marguerite Vernier?«
»Da ermitteln wir noch. Die Nachbarn wissen von keinen Verwandten, aber wir werden sehen.«
»Leistet Du Pont einen Beitrag zu den Lebenshaltungskosten in der Rue de Berlin?«
Thouron zuckte die Achseln. »Er behauptet, nein, obwohl ich ihm das nicht ganz abkaufe. Ob Vernier etwas beisteuert oder nicht, darüber möchte ich lieber nicht spekulieren.«
Laboughe veränderte seine Sitzposition, was den Stuhl knarren und ächzen ließ. Thouron wartete geduldig, während sein Vorgesetzter die Fakten abwog.
»Sie sagten, Vernier ist unverheiratet«, stellte er schließlich fest. »Hat er eine Geliebte?«
»Er war mit einer Frau zusammen. Sie starb im März und wurde auf dem Cimetière de Montmartre beigesetzt. Aus ärztlichen Unterlagen geht hervor, dass sie sich etwa zwei Wochen zuvor in der Klinik Maison Dubois einer Operation unterzogen hatte.«
Laboughe verzog angewidert das Gesicht. »Ein Abbruch?«
»Möglicherweise, Monsieur le Préfet. Die Unterlagen in der Klinik sind nicht mehr auffindbar. Gestohlen, behauptet das Personal. Allerdings wurde uns bestätigt, dass Vernier die Kosten für den Eingriff übernommen hat.«
»Das war schon im März«, sagte Laboughe. »Also hat es vermutlich nichts mit der Ermordung von Marguerite Vernier zu tun.«
»Nein«, bestätigte der Inspektor und fügte hinzu: »Ich würde es eher mit der Verleumdungskampagne gegen Vernier in Verbindung bringen, falls es tatsächlich eine gegeben hat.«
Laboughe schnaubte. »Ich bitte Sie, Thouron. Den guten Ruf eines Mannes zu ruinieren ist wahrhaftig nichts Ehrenhaftes. Aber von da zu Mord?«
»Völlig richtig, Monsieur le Préfet, und unter normalen Umständen würde ich Ihnen recht geben. Aber es hat noch einen weiteren Vorfall gegeben, der für mich die Frage aufwirft, ob es nicht zu einer Eskalation der Feindseligkeiten gekommen ist.«
Laboughe akzeptierte mit einem ergebenen Seufzer, dass sein Inspektor noch nicht fertig war. Er zog eine
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