Die achte Karte
Namen in präzisen Blockbuchstaben: ASMODEUS .
Léonie wollte sich nicht länger damit aufhalten und schlug die nächste Seite auf. Sie stieß auf eine ellenlange, enggeschriebene Einführung über das Thema des Bändchens. Sie überflog den Text in der Annahme, dass bestimmte Worte ihr beim Lesen ins Auge springen würden. Dass das Buch offenbar von Teufeln, Tarotkarten und Musik handelte, beschleunigte ihren Pulsschlag mit einem köstlichen Schaudern des Entsetzens. Sie beschloss, es sich gemütlicher zu machen, und kletterte von ihrem hölzernen Turm, wobei sie die letzten paar Stufen hinabsprang. Dann ging sie mit dem Büchlein zu dem Tisch mitten in der Bibliothek und tauchte tief in die Geschichte ein.
Auf den abgetretenen Steinplatten der Grabkapelle war das schwarze Quadrat, das ich mit eigener Hand früher am Tag gezeichnet hatte und das jetzt schwach zu leuchten schien.
In jeder der vier Ecken des Quadrats, wie Himmelsrichtungen, die entsprechenden Musiknoten. C gen Norden, A gen Westen, D gen Süden und E gen Osten. Innerhalb des Quadrats lagen die Karten, denen Leben eingehaucht werden sollte und durch deren Macht ich in eine andere Dimension gelangen würde.
Ich entzündete die einzige Lampe an der Wand, und sie warf ein fahles weißes Licht.
Auf einmal schien es, als sei die Grabkapelle mit einem Nebel erfüllt, der die gesunde Luft aus der Atmosphäre drängte. Auch der Wind machte sich bemerkbar, denn wie sonst hätte ich mir die Noten erklären sollen, die nun durch das Innere der steinernen Kammer raunten, wie der Klang eines fernen Pianofortes?
In der dämmrigen Atmosphäre erwachten die Karten zum Leben, so schien es mir zumindest. Befreit aus ihrem Gefängnis aus Pigmenten und Farben, nahmen die Gebilde Form und Gestalt an und wandelten abermals auf Erden.
Ein Rauschen lag in der Luft, und ich hatte das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Jetzt war ich sicher, dass die Grabkapelle voller Wesen war. Geister, ich kann nicht sagen, dass sie menschlich waren. Alle Regeln der Natur wurden aufgehoben. Alle Entitäten waren gleichzeitig anwesend. Mein Selbst und andere Formen meines Selbst, vergangene und zukünftige, waren gleichermaßen gegenwärtig. Sie streiften meine Schultern und meinen Hals, hauchten über meine Stirn, umringten mich, ohne mich je zu berühren, und drängten doch stetig näher und näher. Mir schien, als schwebten und flögen sie durch die Luft, so dass mir ihre flüchtige Präsenz allzeit gegenwärtig war. Zugleich schienen sie Gewicht und Masse zu besitzen. Vor allem in der Luft über meinem Kopf war eine unaufhörliche Bewegung zu spüren, begleitet von einer Kakophonie aus Flüstern, Seufzen und Weinen, die mich veranlasste, den Kopf zu neigen wie unter einer Last.
Mir wurde klar, dass sie mir den Zugang verweigern wollten, obschon ich nicht wusste, warum. Ich wusste nur, dass ich das Quadrat zurückgewinnen musste, da mir sonst tödliche Gefahr drohte. Ich machte einen Schritt darauf zu, und sofort stieß ein heftiger Wind auf mich nieder, drängte mich zurück, kreischte und heulte eine furchterregende Melodie, wenn ich es so nennen soll, die sowohl in meinem Kopf als auch außerhalb davon zu sein schien. Die Vibrationen ließen mich fürchten, dass Mauern und Decke der Grabkapelle einstürzen könnten.
Ich sammelte all meine Kraft und sprang dann nach vorne, auf die Mitte des Quadrates zu, wie ein Ertrinkender, der sich verzweifelt nach dem rettenden Ufer reckt. Sogleich stürzte sich ein einzelnes Wesen auf mich, eindeutig ein Teufel, und doch ebenso unsichtbar wie seine höllischen Begleiter. Ich spürte übernatürliche Klauen an meinem Hals und Krallen auf meinem Rücken, spürte seinen fischigen Atem auf meiner Haut, und doch blieb kein Mal auf mir zurück.
Ich hob die Arme zum Schutz über den Kopf. Schweiß strömte mir von der Stirn. Mein Herz geriet aus dem Rhythmus, und ich verspürte eine zunehmende Schwäche. Atemlos, zitternd, jeden Muskel zum Zerreißen gespannt, nahm ich den letzten Rest Mut zusammen und zwang mich noch einmal nach vorne. Die Musik wurde lauter. Ich grub die Fingernägel tief in die Ritzen der Steinplatten auf dem Boden und schaffte es wie durch ein Wunder, mich in das gezeichnete Quadrat zu ziehen.
Im selben Augenblick ergriff mit der brutalen Kraft eines gewaltigen Schreis eine grauenhafte Stille den Raum, und sie brachte den Gestank der Hölle und der Tiefen des Meeres mit sich. Ich glaubte, mein Kopf würde unter ihrer Last
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