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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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war, daneben ein Schälchen mit sahniger geschlagener Butter. Auf drei Porzellantellern waren verschiedene Marmeladen verteilt, und dazu gab es eine Schüssel mit Quitten- und Apfelkompott.
    Während sie aß, schaute sie hinaus in den Garten. Weißer Nebel hing schwerelos über dem Tal zwischen den Bergen, dicht über den Baumwipfeln. Der Rasen lag friedlich und still in der Septembersonne, ohne eine Spur des Windes, der am Abend zuvor gewütet hatte.
    Léonie zog sich ein schlichtes Wollkleid und eine hochgeschlossene Bluse an, dann griff sie zu dem Buch, das Anatole ihr gebracht hatte. Sie verspürte Lust, selbst die Bibliothek zu erkunden, die staubigen Stapel und glänzenden Buchrücken zu studieren. Sollte man sie deshalb zur Rede stellen – obgleich sie keinen Grund dafür sah, schließlich hatte Isolde ihnen angeboten, sich wie zu Hause zu fühlen –, könnte sie als Entschuldigung anführen, dass sie Monsieur Baillards Abhandlung zurückbringen wollte.
    Sie öffnete die Tür und trat auf den Flur. Das ganze Haus schien noch zu schlafen. Alles war still. Keine klirrenden Kaffeetassen, kein Pfeifen aus Anatoles Schlafzimmer, während er seine Morgentoilette verrichtete, überhaupt kein Lebenszeichen. Auch die Halle war verlassen, nur hinter der Durchgangstür zu den Dienstbotenquartieren drangen Stimmen und aus der Küche gedämpftes Töpfeklappern hervor.
    Die Bibliothek nahm die südwestliche Ecke des Hauses ein und war durch einen kleinen Gang zu erreichen, der sich zwischen dem Salon und der Tür zum Arbeitszimmer versteckte. Eigentlich war Léonie erstaunt, dass Anatole sie überhaupt gefunden hatte. Gestern Nachmittag war nicht viel Zeit gewesen, sich mit dem Haus vertraut zu machen.
    Der Durchgang war hell und luftig und sogar noch breit genug für Glasvitrinen, die an den Wänden befestigt waren. In der ersten war Porzellan aus Marseille und Rouen ausgestellt, in der zweiten ein kleiner alter
cuirasse,
zwei Säbel, ein Florett, Anatoles bevorzugte Fechtwaffe, und eine Muskete; die dritte Vitrine war kleiner als die anderen und enthielt eine Sammlung von Orden und Ordensbändern auf blauem Samt. Nichts ließ erkennen, wem diese militärischen Auszeichnungen verliehen worden waren und wofür. Léonie vermutete, dass sie ihrem Onkel Jules gehört hatten.
    Sie drückte die Klinke der Zugangstür zur Bibliothek und schlüpfte hinein. Sogleich spürte sie den Frieden und die Ruhe des Raumes, sog den Geruch nach Bienenwachs und Honig und Tinte ein, nach verstaubtem Samt und Löschpapier. Die Bibliothek war erstaunlich groß, mit Fenstern nach Süden und Westen. Der Faltenwurf der schweren goldblauen Brokatvorhänge reichte von der Decke bis zum Boden.
    Das Geräusch ihrer resoluten Schritte wurde von dem dicken ovalen Teppich verschluckt, der in der Mitte des Raumes lag. Darauf stand ein Tisch, groß genug für die dicksten Bände und ausgestattet mit einer ledernen Schreibunterlage, Tintenfass und Stift sowie einem frischen Löschroller.
    Léonie beschloss, mit ihrer Entdeckungstour in der hintersten Ecke anzufangen. Sie ließ den Blick gemächlich über die Regale wandern, las die Namen auf den Buchrücken, strich mit den Fingerspitzen über Ledereinbände und hielt dann und wann inne, wenn ein besonderer Band ihr Interesse geweckt hatte.
    Sie stieß auf ein schönes, in Tours gedrucktes Messbuch mit kunstvollem Doppelverschluss, dicken grünen und goldenen Vorsatzblättern und zartem, hauchdünnem Papier zum Schutz der Stiche. Auf dem Deckblatt stand der Name ihres verstorbenen Onkels – Jules Lascombe – und das Datum seiner Kommunion.
    In der nächsten Abteilung entdeckte sie eine Erstausgabe von Maistres
Voyage autour de ma chambre.
Es war abgegriffen und hatte Eselsohren, ganz anders als Anatoles tadelloses Exemplar zu Hause. In einer anderen Nische stieß sie auf eine Sammlung sowohl religiöser als auch dezidiert antireligiöser Texte. Die Zusammenstellung wirkte so, als sollten sie sich gegenseitig aufheben.
    Die Abteilung für zeitgenössische französische Literatur hatte nicht nur Zolas komplette
Rougon-Macquart
-Romane aufzuweisen, sondern auch Flaubert, Maupassant und Huysmans – eben viele jener intellektuell anspruchsvollen Autoren, die Anatole ihr immer wärmstens, aber vergeblich ans Herz legte –, sogar eine Erstausgabe von Stendhals
Le Rouge et le Noir
war dabei. Sie entdeckte auch einige übersetzte Werke, doch nichts, was ihr so richtig zusagte, außer Baudelaires

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