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Die achte Offenbarung

Die achte Offenbarung

Titel: Die achte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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Buchstabenkombinationen zu untersuchen, die möglicherweise auf häufige, mit den identischen Schlüsselbuchstaben chiffrierte Worte hindeuteten. Mit dem Computer war das kein großes Problem, solange das Schlüsselwort wesentlich kürzer war als der verschlüsselte Text. Doch das Übertragen der Symbole in den Rechner war eine mühselige Angelegenheit.
    Aber natürlich gab es noch eine andere Möglichkeit: Man konnte versuchen, das Schlüsselwort zu erraten.
    Der Mönch hatte offenbar am Ende des monoalphabetisch verschlüsselten Textes Hinweise darauf gegeben. Paulus las noch einmal die entsprechende Passage:
    Wisse, dass alles, was der erste Engel mir sagte, hinter den Worten verborgen ist, welche die alten Könige bezeugen, die neben den jungen im Lichte Gottes stehen, wo die Heiligsten ruhen. Denn diese standen über mir, als der Engel mir erschien, wo ich in Seinem prachtvollen Haus zum Gebetkniete, am Ziel meiner Wallfahrt im Jahre des Herrn vierzehn hundert elf.
    Diese Zeilen waren im wahrsten Sinn des Wortes kryptisch. Von welchen alten Königen »neben den jungen« war die Rede? Was bezeugten sie? Offenbar war dem Mönch seine Erscheinung in einer Kirche widerfahren, aber wo?
    Immerhin lieferte der Text Paulus ein Datum, einen ersten konkreten Anhaltspunkt für das Alter des Dokuments. Doch das war seltsam: Die erste bekannte Erwähnung der Vigenère-Verschlüsselung stammte aus dem Jahr 1508. Wenn Hermo von Lomersheim 1411 eine Wallfahrt gemacht hatte, konnte er davon nichts gewusst haben, es sei denn, er wäre über hundert Jahre alt geworden. Zwar war es denkbar, sogar wahrscheinlich, dass die Vigenère-Methode auch vor ihrer Veröffentlichung schon eine Weile in Gebrauch gewesen war, allerdings waren selbst von den Geheimdiensten der Könige jener Zeit keine älteren Dokumente mit dieser Methode bekannt. Wie also sollte ausgerechnet ein Mönch aus dem Schwarzwald an diese Technik gekommen sein?
    Im Text wurde angedeutet, dass der Engel ihm die Methode erklärt hatte. War dieser »Engel« in Wirklichkeit ein Geheimagent gewesen? Aber warum dann eine so umständliche Umschreibung eines Schlüsselworts? Warum überhaupt eine Andeutung in dieser Richtung?
    Er wollte, dass jemand den Text entziffert – aber nicht zu früh, nicht unmittelbar nach seinem Tode, beantwortete Paulus sich selbst die Frage. Er wollte es schwierig machen, aber nicht unmöglich. Wenn er tatsächlich die Vigenère-Verschlüsselung benutzt und dieses Wissen von einem Geheimagenten gelernt hatte, dann hatte er davonausgehen können, dass es lange dauern würde, bis jemand die Chiffre anwenden und den Text entschlüsseln konnte.
    Aber was zum Himmel konnte so wichtig und gleichzeitig so schrecklich sein, dass der Mönch einen derart komplizierten Weg eingeschlagen hatte?
    Er betrachtete die Manuskriptseite, auf der der zweite, unentzifferbare Teil begann. Oben links auf der Seite war eine Illumination angebracht, die einen König darstellte:

    Jedenfalls hatte Paulus sie bisher für Schmuck gehalten. Andererseits war es wohl kaum ein Zufall, dass im Absatz davor von Königen die Rede gewesen war. Vielleicht war die Illumination ein Hinweis darauf, wo er suchen musste.
    Wohin hatte man im Mittelalter eine Wallfahrt unternehmen können? Dafür gab es eine Menge denkbarer Ziele, angefangen bei Jerusalem über Rom bis zu den Lebensund Wirkstätten zahlreicher Heiliger. Paulus war kein Experte in solchen religiösen Fragen – sein Fachgebiet war die Wirtschaft jener Zeit. Am Montag konnte er Professor Degenhart danach fragen, der seine Habilitationsschrift über den Ablasshandel verfasst hatte. Der Glaube an ein Leben nach dem Tod und die Angst armer Sünder vor der Hölle waren damals ein einträgliches Geschäft gewesen.
    Der Mönch hatte den heiligen Bernhard erwähnt. Damit war gewiss Bernhard von Clairvaux gemeint, einer der Gründerväter des Zisterzienserordens. Er hatte im 12. Jahrhundert gelebt und sich mit wortgewaltigen Predigten für einen Kreuzzug zur Befreiung Jerusalems stark gemacht. War Hermo von Lomersheim vielleicht nach Clairvaux gereist oder in das Mutterkloster in Citeaux, in das Bernhard ursprünglich eingetreten war und von dem sich der Name der Zisterzienser ableitete? Bezog sich die Formulierung »wo die Heiligsten ruhen« auf Bernhards Grab?
    Paulus recherchierte eine Weile im Internet über Bernhard von Clairvaux und die Zisterzienser, fand jedoch keinen Hinweis auf irgendwelche alten und jungen Könige.
    Welche

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