Die achte Offenbarung
Vergnügen. »Jedenfalls, seit ich aus dem Waisenhaus getürmt bin.«
»Du bist in einem Waisenhaus aufgewachsen?«
Sie gähnte. »Ja, bin ich. Aber das erzähl ich dir ein andermal. Gute Nacht!« Sie ging in ihr Zimmer.
Paulus machte es sich, so gut es ging, auf dem Sofa bequem. Er schlief in Sekundenschnelle ein.
12.
Köln, Montag 04:47 Uhr
Dirk lauschte in die Dunkelheit. Er hörte, wie jemand die Toilette benutzte. Kurz darauf klappte Meles Tür zu. Er versuchte, an den Geräuschen zu erkennen, ob sie allein in ihr Zimmer gegangen oder der Typ ihr gefolgt war, doch es gelang ihm nicht. Er hörte keine Stimmen aus dem Nebenzimmer, aber das musste nichts bedeuten.
Ängstlich wartete er darauf, dass es begann: erst das leise Quietschen des Bettes, während die beiden noch versuchten, unbemerkt zu bleiben. Dann das Stöhnen, das immer lauter wurde, je mehr sie die Welt um sich herum vergaßen.
Doch nichts dergleichen geschah. Während er begriff, dass er sich umsonst aufgeregt hatte, stieg Wut in ihm auf. Wut auf den Typen, der einfach so in sein Leben einbrach und Meles Aufmerksamkeit mit seinem verdammten Buch fesselte. Wut auf Mele, die so schrecklich naiv und leichtfertig war und sich jedem dahergelaufenen Idioten an den Hals warf. Wut auf sich selbst, weil er sich einfach nicht im Griff hatte.
Dirk war kein Dummkopf. Er wusste, dass Mele einen flatterhaften Charakter hatte. Dass sie nur mit ihm gespielt hatte, ihn nicht liebte, nicht einmal bemerkte, wie sie ihn mit ihrer achtlosen Art verletzte. Sie war Gift für ihn – doch was für ein süßes Gift!
Seit sie vor einem halben Jahr in Brittas Zimmer eingezogen war, hatte er keine ruhige Minute mehr gehabt. Seine Magisterarbeit hatte ebenso darunter gelitten wie sein Roman, an dem er nun schon seit vier Jahren arbeitete.Zu Anfang hatte er sich über die neue Mitbewohnerin bloß geärgert: Im Gegensatz zu Britta war sie laut, schlampig und hatte bisher noch keinen Cent Miete bezahlt, so dass Mike und er schon mehrmals darüber gesprochen hatten, sie rauszuwerfen und einen anderen Untermieter zu suchen. Doch ihre Anmut und ihr kindlich-naives Wesen hatten Dirk mehr und mehr fasziniert. Als er einen zaghaften Annäherungsversuch gemacht hatte, hatte sie ihn zu seiner großen Überraschung nicht zurückgewiesen. Er hatte sich Hals über Kopf in die Falle gestürzt, die sie ihm gestellt hatte.
Wahrscheinlich war es die Sache wert gewesen. Der Sex mit ihr war das Aufregendste, was er je erlebt hatte, und vermutlich würde er auch nie wieder etwas Vergleichbares bekommen. Ein paar Tage war er buchstäblich im siebten Himmel gewesen und hatte sogar alberne Fantasien von Hochzeit und Kindern gehabt. Dann hatte sie diesen bärtigen Typen angeschleppt, vor Dirks Augen mit ihm rumgeknutscht und sich in Brittas Zimmer von ihm vögeln lassen.
Als er sie hinterher zur Rede gestellt hatte, hatte sie nicht einmal begriffen, was er von ihr wollte. Sie hatte ihn spießig und altmodisch genannt und unmissverständlich klargemacht, dass man keinerlei Besitzansprüche erwarb, wenn man mit ihr schlief. Sie sah Sex als eine Art Sport an, den man zum Vergnügen betrieb. Mit Liebe und Bindung hatte das ihrer Meinung nach nichts zu tun.
Dirk war am Boden zerstört gewesen. Zwei Tage lang hatte er nur trübsinnig herumgesessen und nichts zustande gebracht. Irgendwann hatte er sich zusammengerissen. Er hatte versucht, seine Gefühle zu unterdrücken, die alberne Hoffnung, wenn sie ihn anlächelte oder über einen Scherz von ihm lachte, die Eifersucht, wenn sie wiedermit irgendeinem Typen rummachte. Doch sosehr er sich bemüht hatte, sie aus seinen Gedanken zu verbannen, es war ihm nicht gelungen.
Nun lag er hier, wieder einmal schlaflos vor Sehnsucht nach Mele, und wusste nicht, was er tun sollte.
Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Als er sicher war, dass sich draußen nichts rührte, stand er auf, öffnete lautlos die Tür und trat hinaus.
Der Typ lag auf dem Sofa im Wohnzimmer. Er schien fest zu schlafen. So weit, so gut.
Er ging zu Meles Zimmer und lauschte an der Tür. Nichts zu hören. Kein Licht schimmerte unter dem Türspalt hindurch.
Vorsichtig öffnete er die Tür. Er hatte dafür gesorgt, dass Klinken und Scharniere aller Türen in der WG gut geölt waren. Den anderen hatte er gesagt, dass er sich durch das ewige Quietschen gestört gefühlt hatte. Niemand hatte das in Zweifel gezogen.
Er blieb am Eingang stehen, die Sinne aufs äußerste gespannt,
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