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Die achte Offenbarung

Die achte Offenbarung

Titel: Die achte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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versuchen sollte, wieder einzuschlafen, verwarf den Gedanken jedoch. Er wollte dieses verdammte Manuskript so schnell wie möglich zu Ende übersetzen. Er würde später im Institut anrufen und sich ein paar Tage freinehmen. Aber jetzt brauchte er erst mal einen Kaffee.
    Er wankte in die Küche und machte sich einen Becher Instantkaffee. Sein Blick fiel auf die polierte Edelstahloberfläche des Wasserkochers. Er strich sich mit der Handüber das unrasierte Kinn. Er hatte nicht mal Waschzeug dabei.
    Erfrischt von dem starken Kaffee, ging ihm die Arbeit deutlich leichter von der Hand als letzte Nacht. Doch je mehr Wörter er entzifferte, desto häufiger stutzte er. Schließlich starrte er verwirrt auf den Text, den er bis zur nächsten astronomischen Datumsangabe übersetzt hatte.
    Die ersten Zeilen entsprachen noch ungefähr dem, was er erwartet hatte:
    Das war die zweite Offenbarung, und mein Herz ist mir schwer, als ich dieses niederschreibe, denn wehe, das Reich Byzanz wird fallen.
    Hermo von Lomersheim hatte diesen Abschnitt so formuliert, als liege das Ereignis in der Zukunft, doch wenn er den Fall Konstantinopels beschrieben hatte, war auch das wohl bloß ein dramaturgischer Trick.
    Doch was sollte er von den nächsten Zeilen halten? Sie lauteten:
    Und der Engel offenbarte mir: Die heilige Kirche selbst wird der Verderbnis anheimfallen und der weltlichen Gier, und sie wird abfallen vom Gebote der Liebe Gottes. Ein Mann aber wird kommen, der die Stimme erhebt wider den Handel mit der Sünde. Seine Anklage wird er in Sätzen schreiben, und es werden an die hundert sein.
    Ein Mann, der die Stimme erhob wider den Ablasshandel und seine Anklage in ungefähr hundert Sätzen formulierte? Das klang ein bisschen zu sehr nach Martin Luther, um Zufall zu sein. Wenn es aber kein Zufall war, dann konnte das Manuskript nicht im 15. Jahrhundert geschriebenworden sein, wie Paulus bisher angenommen hatte. Denn Luther hatte seine berühmten 95 Thesen erst 1517 veröffentlicht.
    Wieder folgte auf den kurzen Abschnitt eine astrologische Zeichenfolge: Jupiter in der Jungfrau, Saturn im Schützen, Mars in der Waage und der Mond im Stier.
    Paulus sah auf die Uhr. Es war halb zehn. Mele war noch nicht aus ihrem Zimmer gekommen. Wahrscheinlich schlief sie noch.
    Er entschied sich, sie zu wecken. Vorsichtig klopfte er.
    »Komm rein.«
    Er öffnete die Tür.
    Mele lag noch im Bett. Sie trug weder ein Nachthemd noch Unterwäsche. Eine nackte Brust ragte unter der Bettdecke hervor.
    »Entschuldige«, sagte Paulus erschrocken und zog sich rasch zurück. Durch die geschlossene Tür rief er: »Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Ich wollte nur wissen, ob es hier in der Nähe ein Internetcafé gibt.«
    »Einen Moment«, rief sie. Er hörte sie drinnen rumoren. Kurz darauf trat sie aus dem Zimmer. Sie trug verwaschene Jeans und ein kariertes Hemd, das ihr mindestens drei Nummern zu groß war. »Morgen«, sagte sie und lächelte. »Wozu brauchst du denn ein Internetcafé? Wir können doch Dirks Laptop benutzen.«
    »Dirk ist zur Uni gegangen.«
    »Na und? Ich kenne sein Passwort.« Ohne Umschweife ging sie ins Zimmer des Germanistikstudenten und fuhr den Laptop hoch.
    Paulus begann zu ahnen, dass es nicht leicht war, mit Mele eine Wohnung zu teilen. »Meinst du nicht, wir sollten doch lieber in ein Internetcafé gehen?«
    »Ach Quatsch«, sagte Mele leichthin. »Dirk merkt es janicht. Und selbst wenn: Was ist schon dabei? Wir lesen ja nicht seine E-Mails oder stöbern in seinen Pornovideos herum.«
    Paulus fühlte sich sehr unwohl dabei, auf diese Weise in die Privatsphäre seines Gastgebers einzudringen. »Ich würde wirklich lieber einen öffentlichen Zugang benutzen«, sagte er.
    Mele zog eine Augenbraue hoch. »Na schön, wie du willst. Aber du musst allein gehen. Ich habe keinen Wohnungsschlüssel.« Sie fuhr den Laptop wieder herunter und beschrieb ihm den Weg zu einem Internetcafé am Hohenzollernring.
    Paulus packte das Buch und seine Aufzeichnungen in seine Laptoptasche und machte sich auf den Weg. Das Café war nur zehn Minuten zu Fuß entfernt. Er googelte die exakten Daten des Falls von Konstantinopel und der Veröffentlichung von Luthers Thesen und gab beide Daten in das Astronomie-Programm ein. Wie er vermutet hatte, stimmten die Planetenkonstellationen mit den Angaben im Manuskript überein.
    Nachdenklich betrachtete er das Buch von allen Seiten. Bereits im 14. Jahrhundert war Papier in Europa als Schreibmaterial verbreitet

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