Die achte Offenbarung
bereit, die Tür sofort wieder lautlos zu schließen.
Mele lag auf dem Bett, wie immer völlig nackt. Die Bettdecke verhüllte nur unvollständig ihren schlanken Körper, der im Licht der Straßenlaterne vor ihrem Fenster bleich wirkte.
Eine Welle der Sehnsucht durchlief ihn. Sie sah so zart aus, so zerbrechlich, so schutzbedürftig. Sie wären das perfekte Paar: Er würde das gemeinsame Leben organisieren, sie ihm Inspiration und Antrieb liefern. Sie wäre seine Muse. Arthur Miller und Marilyn Monroe.
Vielleicht bestand ja doch noch eine Chance. Irgendwann würde sie merken, dass man nicht immer nur sorglos von einem Tag in den anderen leben konnte, dass man jemanden brauchte, der für einen da war, wenn es darauf ankam.
Dirk schloss die Tür. Es hatte keinen Sinn, sich noch länger zu quälen.
Er schlich ins Wohnzimmer. Der Typ lag dort, als könne er keiner Fliege was zuleide tun. Er sah nicht mal besonders gut aus. Aber Meles Geschmack war Dirk immer ein Rätsel gewesen. Im Grunde hatte er auch keine Ahnung, was sie an ihm selbst gefunden hatte, während sie andererseits bisher keinerlei Interesse an Mike mit seinem athletischen Körper gezeigt hatte.
Er spürte das Verlangen in sich, dem Kerl eines der Sofakissen auf das Gesicht zu drücken, bis er irgendwann aufhörte zu strampeln. Aber natürlich wusste er, dass er weder die Willens- noch die Körperkraft gehabt hätte, um so etwas zu tun. Außerdem konnte der Typ ja nichts dafür, was Mele tat. Wie alle Männer, die sie hier anschleppte, war er ihren Launen hilflos ausgeliefert. Es war nur seltsam, dass er nicht sofort mit ihr ins Bett gegangen war. Besaß er im Unterschied zu den anderen Kerlen so etwas wie Anstand?
Das machte es im Grunde nur noch schlimmer.
Dirk betrachtete das Manuskript. Er nahm es in die Hand, roch daran, blätterte vorsichtig durch die Seiten voller seltsamer Symbole, die er im schwachen Licht kaum erkennen konnte. Eine merkwürdige Faszination ging von diesem unscheinbaren Buch aus. Kein Wunder, dass Mele sich davon angezogen fühlte. Sie hielt die Welt für ein großes Abenteuerspiel und liebte Rätsel und Herausforderungen.
Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, die Seiten aus dem Buch zu reißen und ins Klo zu spülen oder, noch besser, es im Backofen zu verbrennen. Dann würde sich Meles Begeisterung für diesen Historiker wohl schnell verflüchtigen. Aber Dirk liebte Bücher viel zu sehr, um so etwas zu tun. Und außerdem …
Er legte das Buch zurück und betrachtete die Notizen, die dieser Paulus in seiner ordentlichen Spießerhandschrift gemacht hatte. Da war eine Tabelle, in der jedem der Symbole ein Buchstabe zugeordnet wurde. Auf mehreren Blättern waren kryptische Buchstabenfolgen aufgeschrieben, darunter Wörter in einem mittelalterlichen deutschen Dialekt. Es schien nicht besonders schwierig zu sein, den Text zu entschlüsseln.
Sein Blick fiel auf einen karierten Zettel, der unter anderen Blättern herauslugte. Er erkannte den Rand einer Zeichnung.
Vorsichtig zog er das Blatt hervor. Mele hatte Paulus skizziert, wie er da saß, über das Buch gebeugt. Mit wenigen Strichen hatte sie seine Mimik, seine Konzentration perfekt eingefangen. Der Typ hatte es vermutlich nicht einmal bemerkt.
Dirk spürte eine Beklemmung in seiner Brust. Er atmete tief ein und aus, dann faltete er das Blatt vorsichtig zusammen und steckte es ein.
Eine Weile stand er noch in der Dunkelheit und dachte nach. Schließlich ging er wieder in sein Zimmer und schloss die Tür, lautlos wie eine Katze.
13.
Köln, Montag 07:32
Geschirrgeklapper aus der Küche weckte Paulus. Dirk gab sich keine besondere Mühe, leise zu sein.
Düstere Traumbilder verschwanden hinter dem Vorhang des Vergessens. Er versuchte, sie festzuhalten, doch es gelang ihm nicht, sich an allzu viel zu erinnern. Er wusste nur noch, dass er in Panik versucht hatte, vor irgendetwas wegzulaufen, jedoch nicht von der Stelle gekommen war, so als seien seine Füße festgeklebt gewesen. Ein typischer Alptraum, ausgelöst von der bedrohlichen Situation, in der er sich befand.
Er sah auf die Armbanduhr: halb acht. Er hatte kaum mehr als drei Stunden geschlafen.
Dirk steckte den Kopf durch die Tür zum Wohnzimmer. »Morgen. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Muss zur Uni.«
»Schon gut. Danke noch mal, dass ich bei euch übernachten durfte.«
Dirk grunzte irgendwas. Er ging noch mal in sein Zimmer und verließ kurz darauf die Wohnung.
Paulus überlegte, ob er
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