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Die achte Offenbarung

Die achte Offenbarung

Titel: Die achte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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beiseitezustoßen, habe ich ihm in die Eier getreten, dass ihm die Lust für ein paar Tage vergangen ist. Natürlich wurde ich verprügelt und eingesperrt. Als sie mich wieder rausgelassen haben, bin ich getürmt und zur Polizei, aber die Scheißbullen haben mir nicht geglaubt und mich gleich wieder zurück ins Waisenhaus gebracht.«
    »Deswegen traust du ihnen nicht.«
    »Das kannst du laut sagen. Die Bullen greifen immer erst ein, wenn es zu spät ist. Leute bestrafen, ob schuldig oder nicht, darin sind sie gut. Unheil verhindern, das können die überhaupt nicht.«
    »Und dann?«
    »Ein halbes Jahr später hab ich den Mistkerl drangekriegt. Ich hab einem der Erzieher eine Kamera geklaut, so eine alte mit einem Film drin. Dann hab ich mich auf die Lauer gelegt und den Leiter fotografiert, wie er da stand mit offener Hose vor einem weinenden Jungen. Dann bin ich abgehauen. Ich hab ein paar Jungs getroffen, bei denen ich unterkommen konnte. Die haben mir Geld gegeben, um den Film zu entwickeln.«
    »Und damit bist du zur Polizei gegangen?«
    »Quatsch. Damit haben wir den Mistkerl erpresst. Er hat brav gezahlt, jeden Monat, und nie wieder einen der Jungen angerührt. Als ich neunzehn war, hat er sich umgebracht.Anscheinend hat ihn einer der Jungs, die er missbraucht hatte, angezeigt.«
    »Das muss schrecklich gewesen sein.«
    »Das war es.«
    »Und wie bist du dann in der WG gelandet?«
    »Ich hab gejobbt, hier und da. Als ich Kellnerin in einem Restaurant war, hab ich Mike kennengelernt. Ich hatte gerade Stress mit den Typen, bei denen ich damals wohnte. Als er mir das Zimmer von Katrin angeboten hat, hab ich ja gesagt. Das war vor einem halben Jahr. Ehrlich gesagt reicht’s mir langsam auch schon wieder. Dirk ist ja ganz nett, aber er kann verdammt anstrengend werden. Und Mike ist auch so ein Korinthenkacker.«
    »Du meinst, er will, dass du hin und wieder mal mit saubermachst, Miete zahlst, dich an den Essenskosten beteiligst und solche Dinge?«
    Sie grinste. »Genau. Ein Korinthenkacker eben.«
    Paulus unterdrückte einen Seufzer. Mele war das blanke Chaos. Sie war das Letzte, was er brauchte. Warum, verdammt noch mal, war er bloß so froh, dass sie bei ihm war?
    Er starrte aus dem Fenster. Allmählich wich die idyllische Landschaft einer ausgedehnten Industriezone mit dampfenden Kraftwerks-Kühltürmen, chromglänzenden Chemieanlagen und grauen, kastenförmigen Bürobauten. Der Rhein spielte auch heute noch eine wichtige Rolle – als Transportweg und Kühlwasserlieferant.
    Hinter Mannheim bog die Zugstrecke Richtung Osten ab. Kurz darauf erreichten sie Heidelberg.

18.
Heidelberg, Dienstag 14:12 Uhr
    Der Heidelberger Hauptbahnhof hatte den Charme einer Turnhalle. Paulus sah sich misstrauisch um. Er erblickte eine Gruppe Menschen mit arabischem Aussehen, doch die meisten waren Koffer schleppende Frauen mit langen, schlichten Kleidern und Kopftüchern.
    Mele und er gingen rasch zum Ausgang und nahmen ein Taxi zur Universitätsbibliothek, die in der Altstadt zu Füßen eines steilen Berghangs lag.
    »Gib mir mal dein Handy«, sagte Mele.
    »Warum?«
    »Ich will Dirk anrufen.«
    Sie wählte seine Nummer, erreichte aber ebenfalls nur die Mailbox. »Hallo, Dirk, hier ist Mele. Wir sind in Heidelberg. Wir würden uns gern so schnell wie möglich mit dir treffen. Ruf mich bitte zurück.«
    »Und du glaubst, er meldet sich?«, fragte Paulus.
    Mele zuckte mit den Schultern. »Bei Dirk weiß man nie.«
    Was dem Hauptbahnhof an architektonischer Eleganz fehlte, besaß das Bibliotheksgebäude im Überfluss. Die Fassade aus rotem Stein mit ihren unzähligen Erkern, Türmen und goldenen Verzierungen hätte einer kurfürstlichen Residenz Genüge getan. Sie unterstrich das Selbstbewusstsein und die Autorität Deutschlands ältester Universität. Auch im Inneren beeindruckte das Gebäude mit einem prachtvollen marmornen Treppenhaus, über dem sich ein buntes Jugendstil-Glasdach wölbte.
    Der Lesesaal gegenüber dem Eingang war voller Studenten,die auch in Zeiten von Internet und E-Books auf Bibliotheksbesuche offensichtlich nicht verzichten konnten. An den Wänden reihten sich Hunderte dicke, ledergebundene Bände – das Verzeichnis des Bibliotheksbestands bis 1935, wie Paulus der Rückenaufschrift entnahm. Neben dem Eingang gab es einen Automaten für Ohrstöpsel, der jedoch überflüssig erschien, denn in dem großen Raum war es bis auf das gelegentliche Rascheln einer umgeblätterten Seite absolut still.
    Paulus ging zur

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