Die achte Offenbarung
Aber dass er die Arbeit an seine Assis überträgt, selbst aber das Honorar dafür kassiert, das passt zu ihm. Na schön, dann hol ich mal das gute Stück.« Er verschwand aus dem Raum.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Mele. »Er wird uns dieses alte Buch doch kaum ausleihen, oder?«
»Nein«, sagte Paulus. »Aber erst mal müssen wir wissen, ob es sich tatsächlich um das Schlüsselbuch handelt.«
Braun kehrte mit einem pergamentgebundenen Buch zurück und legte es vorsichtig auf den Tisch. Er reichte Paulus Einweg-Gummihandschuhe, dann stellte er die halbvollen Kaffeebecher auf ein Sideboard, um ein folgenschweres Missgeschick auszuschließen.
Paulus zog die Handschuhe an und schlug vorsichtig das Buch auf. Die Seiten bestanden aus Papier, das einen brüchigen Eindruck machte. Die Hälfte von ihnen war mit kolorierten Holzschnitten bedruckt, die in lateinischen Inschriften Geschichten aus der Bibel erzählten. Die andere Hälfte enthielt die frühneuhochdeutsche Übersetzung des Textes in einer kaum leserlichen Handschrift.
Das Buch bestand aus drei Teilen, sogenannten Faszikeln, die vermutlich zu unterschiedlichen Zeiten entstanden waren. Der erste Teil enthielt eine Kurzfassung der Lebensgeschichte Jesu Christi. Der zweite Teil gab die Offenbarung des Johannes wieder. Der dritte Teil enthielt eine Variante der »Ars Moriendi« – zu Deutsch »Die Kunst, zu sterben«. Es handelte sich um eine mittelalterlicheErbauungsschrift, die die Menschen auf den Tod vorbereiten und sie den Weg ins Himmelreich lehren sollte.
Ungefähr in der Mitte des Buches entdeckte Paulus einen kolorierten Holzschnitt, der ihn innehalten ließ. Er bestand aus zwei Teilen. In der oberen Hälfte sah man einen siebenköpfigen roten Drachen im Kampf mit einer Gruppe von Kriegern. Darunter schien dasselbe Wesen in eine Art Raubkatze mit sieben Köpfen transformiert worden zu sein. Ein Heiliger mit Bischofsstab stand daneben und schien etwas auf Latein zu ihm zu sagen.
Kein Zweifel, dies war die Illustration, auf die sich das Manuskript bezog.
»Wollten Sie sich nicht die Bindungstechnik ansehen?«, fragte Braun.
»Äh, ja, natürlich. Ich war nur einen Moment überwältigt von der Schönheit dieses Exemplars.«
Braun lächelte. »Ja, das kann ich verstehen. Ich empfinde auch immer Ehrfurcht, wenn ich so ein Buch in der Hand halte. All die Jahrhunderte, die es überdauert hat …«
Paulus betrachtete das Buch genauer, hob es an, roch daran. Er holte einen Schreibblock und Kugelschreiber aus seiner Tasche und kritzelte etwas Unleserliches auf ein leeres Blatt, um den Schein zu wahren. Braun beobachtete ihn mit gerunzelter Stirn, sagte jedoch nichts.
»Darf ich ein paar Fotos machen?«
Braun nickte.
Paulus holte sein Handy hervor und machte ein paar Aufnahmen von der Bindung und der Seite mit der Illustration. Er hätte gern das ganze Buch von vorn bis hinten fotografiert, aber das hätte seltsam ausgesehen.
»Ich glaube, ich habe jetzt genug gesehen«, sagte er. »Haben Sie das Buch schon digitalisiert?«
»Selbstverständlich«, erwiderte Braun. »Wir haben sogar ein paar Seiten ins Internet gestellt, aber nur die schönsten.«
Das also war die Erklärung dafür, dass Dirk die Handschrift hatte identifizieren können. »Könnte ich eine Kopie der digitalisierten Seiten bekommen?«
»Ich verstehe nicht, wie Ihnen das helfen würde, das Alter eines anderen Dokuments einzuschätzen.«
»Ich denke mal, Professor Degenhart wird auch den Sprachduktus vergleichen wollen. Ich glaube, er hat mich gebeten, speziell dieses Exemplar hier anzusehen, weil das Manuskript, um das es geht, aus derselben Region und Epoche stammt.«
»Tatsächlich? Das wäre wissenschaftlich äußerst interessant! Ich würde gern mehr über dieses Manuskript wissen. Aus welcher Sammlung stammt es?«
»Aus einer Privatsammlung. Es taucht bisher in keinem Katalog auf. Deshalb hat ja die Versicherung Professor Degenhart gebeten, seine Meinung dazu abzugeben.«
»Natürlich. Verstehe. Ich werde ihm eine Mail mit einem Link schicken, dann kann er sich die digitalisierten Seiten direkt von unserem Server herunterladen.«
»Äh, wäre es wohl möglich, dass Sie mir die Seiten auf eine DVD brennen? Dann könnte ich auf dem Rückweg nach Hamburg schon mal einen Blick darauf werfen.«
»Na gut, das lässt sich wohl machen. Warten Sie einen Moment hier.« Er nahm das Buch und verließ damit den Raum. Kurz darauf kam er mit einer DVD in einer Klarsichthülle
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