Die Achte Suende
»Das war’s. Wir verstehen uns.«
Kapitel 40
Zwei Tage und zwei Nächte verbrachte Kardinalstaatssekretär Philippo Gonzaga in seinen abgedunkelten Privaträumen im Apostolischen Palast. Er verweigerte jede Nahrung und ließ niemanden zu sich, nicht einmal den Leibarzt des Papstes, den Kardinal Moro zu Hilfe gerufen hatte. Gonzaga wollte allein sein.
Es bereitete ihm Schwierigkeiten, sich mit der Realität zurechtzufinden. Zudem wurde er in unregelmäßigen Abständen von heftigem Schüttelfrost befallen, der seinen geschwächten Körper in zuckende Bewegungen versetzte, als stünde er unter Starkstrom.
Sobald sich seine unkontrollierbaren Glieder wieder beruhigt hatten, versuchte Gonzaga Klarheit in seine Gedanken zu bringen. Wer steckte hinter der Entführung? Feinde hatte er genug, aber die wenigsten interessierten sich für das Turiner Grabtuch.
Von der verzerrten Stimme im Schlachthaus, die aus dem Lautsprecher kam, waren ihm nur Wortfetzen in Erinnerung geblieben und die Tatsache, dass der Mann theologische Fachausdrücke benutzte. Dies und die Gnadenlosigkeit seines Vorgehens deuteten zunächst auf Anicet hin, das Oberhaupt der Fideles Fidei Flagrantes.
Wenn es jemanden gab, der über die Echtheit des Grabtuches Bescheid wusste, dann war es Anicet. Er selbst hatte Anicet das Tuch auf Burg Layenfels ausgehändigt, und dass es sich dabei um das Original und nicht um die Kopie handelte, das konnte er, Gonzaga, bezeugen. Zumindest war es das Tuch, das im Vatikan aufbewahrt wurde. Schließlich hatte er es eigenhändig aus dem Tresor genommen und sich um den Leib gewickelt.
Nein, dachte der Kardinalstaatssekretär, dieser Anicet scheidet aus. Soweit er sich erinnerte, hatte er der Stimme aus dem Lautsprecher die Frage gestellt, ob er für Anicet arbeite, und darauf nach langem Zögern die Antwort bekommen, Anicet arbeite für
ihn
.
Wer also war die Stimme im Kühlhaus?
Am Morgen des dritten Tages seiner selbstgewählten Isolation überkam Gonzaga ein starkes Hungergefühl. Der Gedanke an die Schweinehälften, zwischen denen er selbst wie ein Stück Fleisch bange Stunden gehangen hatte, hatte ihm bisher jegliche Art von Nahrungsaufnahme verleidet. Jetzt griff er zum Telefon und bestellte bei den Nonnen, die für die Verköstigung der Kurienmitglieder, einschließlich des Papstes, zuständig waren, ein Frühstück – ohne Wurst und Schinken, wie er ausdrücklich betonte.
Wenig später klopfte es an die Tür, und Monsignor Abate, der Privatsekretär von Kardinal Bruno Moro, erschien mit einem Tablett, darauf das gewünschte Frühstück, der
Messagero
und der
Osservatore Romano
.
»Guten Morgen, Excellenza, im Namen des Herrn«, sagte Abate, frisch rasiert und in einer tadellos gebügelten Soutane.
Gonzaga, nur mit einem purpurfarbenen Bademantel von Massimiliano Gammarelli bekleidet, dem päpstlichen Couturier in der Via di Santa Chiara, blickte auf.
»Wo ist Soffici?«, knurrte er, als er den Sekretär seines Erzfeindes erkannte.
Der hob die Schultern. »Er ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Kardinal Moro will die Polizei einschalten.«
Gonzaga erhob sich aus seinem Sessel, in dem er die letzten zwei Tage verbracht und nachgedacht hatte. Dann ging er zum mittleren Fenster seines Arbeitszimmers und starrte durch die geschlossenen Jalousien auf den Petersplatz. Der weite, von den Kolonnaden des Bernini eingerahmte Platz lag um diese Zeit noch ruhig und verlassen da.
Gonzaga drehte sich um: »Sagen Sie Kardinal Moro, ich wünsche nicht, dass wegen Soffici die Polizei eingeschaltet wird. Soffici wird ebenso wieder auftauchen wie ich. Vermutlich sitzt er in irgendeinem Beichtstuhl in der Kirche San Giovanni in Laterano oder in San Pietro de Tortosa in Vincoli oder in Santa Maria Maggiore.«
Der Monsignore sah Gonzaga verwundert an: »Excellenza, wie kommen Sie gerade auf diese Häuser des Herrn?«
Ungehalten blies der Kardinalstaatssekretär die Luft durch die Nase. »Ich habe nicht behauptet, dass Soffici in einer dieser Kirchen zu finden sei. Ich habe nur von der Möglichkeit gesprochen, dass mein Sekretär in irgendeiner dieser Kirchen gefunden werden könnte. Ist das so schwer zu begreifen?«
»Nein, Excellenza, ich verstehe, was Sie meinen.«
»Schließlich wurde auch ich in einer Kirche ausgesetzt …« Gonzaga hielt inne. Mit unruhigem, beinahe wirrem Blick musterte er das Frühstückstablett, das Monsignor Abate auf einem Beistelltisch abgestellt hatte.
»Ich habe ein Frühstück ohne
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