Die Achte Suende
weiß gekachelt, öffnete Dottor Weber eine Tür, nicht größer als die eines Kühlschranks für einen Singlehaushalt. Mit einem Handgriff zog der Dottore eine mit einem weißen Laken bedeckte Bahre aus der Wand. Unter dem Laken hoben sich die Umrisse eines Toten ab.
Stumm zog der Pathologe das Laken beiseite.
Gonzaga erstarrte. Er wollte etwas sagen. Aber irgendetwas lähmte sein Sprachvermögen. Sein Kiefer war steif. Er presste die Zähne zusammen.
Hätte er zu reden vermocht, er hätte gesagt: Das ist nicht Soffici, mein Sekretär. Aber ich kenne diesen Mann, ich weiß nicht, wie er heißt und wo er lebt, aber ich erkenne ihn an seinen Brandwunden im Gesicht. Wir sind uns schon einmal begegnet, damals auf dem Flug von Frankfurt nach Mailand. Er bot mir ein aberwitziges Geschäft an. Hunderttausend Dollar für ein winziges Stück Stoff, nicht größer als eine Briefmarke. Aber dann …
»Kennen Sie den Mann?«, unterbrach Dottor Anselmo Weber die Gedanken Gonzagas.
Der Kardinal schreckte hoch: »Ob ich den Toten kenne? Nein. Das ist nicht mein Sekretär. Ich bedauere.«
Es klang merkwürdig, wie er das sagte. Schließlich stellte Gonzaga die Frage: »Und wie kam der arme Kerl zu Tode?«
Mit der Unterkühltheit des Pathologen, der tagaus, tagein mit dem Tod konfrontiert wird, erwiderte Dottor Weber: »Gezielter Nackenschlag mit der Handkante. Schneller Tod. Tatort und Leichenfundort stimmen nicht überein.«
»So genau wollte ich es gar nicht wissen!« Gonzagas Stimme klang nicht weniger kühl als die des Pathologen.
Kapitel 41
Wie die meisten Römer hatte Caterina Lima keine Garage für ihren Wagen. Sie konnte von Glück reden, wenn sie in der Via Pascara, wo sie wohnte, einen Parkplatz fand. Meist musste sie ihr Fahrzeug zwei oder drei Straßenzüge von ihrer Wohnung entfernt abstellen, und manchmal vergaß sie, wo sie ihren kleinen Nissan tags zuvor geparkt hatte. So auch an diesem Freitag, an dem sie sich Großes vorgenommen hatte.
Malbergs abweisendes Verhalten belastete Caterina ungemein. Die Situation war völlig verfahren. Malberg erschien ihr vollkommen durchgedreht in seinem Verfolgungswahn und seiner Verbitterung. Trotzdem hatte sie sich fest vorgenommen, nicht aufzugeben.
Seit Tagen schlief Caterina schlecht, sie aß kaum etwas, und ihre Gedanken kreisten nur um das eine Thema. Zum Glück gewährte ihr die neue Aufgabe in der Redaktion des
Guardiano
die nötige Freiheit, um eine wichtige Sache herauszufinden.
Es dämmerte bereits, als Caterina ihren Wagen in einer Seitenstraße wiederfand. Sie trug ein Blumengebinde aus weißen Lilien und den Zettel mit der Adresse der Signora Fellini bei sich, den Lukas achtlos auf den Boden geworfen hatte. Die ehemalige Hausbeschließerin war vermutlich die Einzige, die über die mysteriösen Zusammenhänge zwischen Marlenes Tod und den hohen Herren im Vatikan Auskunft geben konnte. Ob ihr Bruder Paolo alle Einzelheiten kannte, war ihr nicht ganz klar. Fest stand, dass er mehr wusste als sie und mehr als Malberg.
Für Caterina gab es keinen Zweifel, dass es für Lukas und sie nur dann eine gemeinsame Zukunft geben konnte, wenn »der Fall« Marlene Ammer geklärt war. Andernfalls würde Marlene stets zwischen ihnen stehen.
Von Berufs wegen wusste Caterina, wie man Menschen zum Reden bringt. Und so hatte sie sich einen genauen Plan für ihr Vorgehen zurechtgelegt. Signora Fellini kannte
sie
nicht, aber sie kannte die Signora, das war ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Immerhin wusste Caterina einiges über sie. Damit würde sie die Fellini, die sich in ihrem neuen Leben sicher fühlte, konfrontieren. Natürlich würde Caterina die Quelle ihrer Informationen nicht preisgeben und verschweigen, dass sie Paolos Schwester war. Das würde die Signora verunsichern. Verunsicherte Menschen geben bereitwilliger Auskunft als Menschen, die sich in Sicherheit wiegen.
In Gedanken vertieft lenkte Caterina ihren Nissan in nördlicher Richtung tiberaufwärts zum Lungotevere Marzio, einer der feinsten Adressen der Stadt. Es war kein Geheimnis, dass einige der großbürgerlichen Mietshäuser sich im Besitz des Vatikans befanden. Hier also logierte die Signora Fellini seit ihrem überstürzten Auszug aus ihrer Hausbeschließer-Wohnung in der Via Gora.
Kein schlechter Tausch, dachte Caterina, während sie das repräsentative Gebäude von der gegenüberliegenden Straßenseite betrachtete. Die Aussicht auf den Fluss und das andere Ufer und die Engelsburg musste
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