Die Achte Suende
Frühzeit der Druckkunst zu fälschen erfordert einen viel zu hohen Aufwand. Im Übrigen ist es ein Leichtes, das wahre Alter von Pergament und Papier festzustellen.«
»So gesehen ist das Mendelsche Werk sogar ein relativ junges Buch!«
»Eben. Sein Wert beschränkt sich auf das Unikat, seine Geschichte und – natürlich – seinen Inhalt.«
Der vermeintliche Sammler begann plötzlich an Malberg Interesse zu zeigen: »Sie kennen den Inhalt des Buches?«
»Ja, das heißt – nein. Ich weiß nur, worum es in dem Buch geht.«
»Ach.« Der Unbekannte setzte ein überlegenes Lächeln auf, weniger Ausdruck von Freude als von Wissen und Überlegenheit, und verfolgte weiter die Versteigerung. »Dann wissen Sie mehr als ich«, fügte er mit leisem Spott hinzu.
Malberg fühlte sich brüskiert. Der Mann nahm ihn offensichtlich nicht ernst. Malberg beugte sich zu ihm und verkündete im Flüsterton: »Die wenigsten Bibliophilen, nicht einmal Experten, wissen überhaupt von diesem Buch des Gregor Mendel. Dabei gehört es vermutlich zu den bedeutsamsten Büchern, die je geschrieben wurden. Aber weil es als verschollen galt und obendrein in einer verschlüsselten Sprache verfasst wurde, geriet das Werk in Vergessenheit. Kein Wunder, dass das Buch und sein Inhalt zu abenteuerlichen Spekulationen Anlass geben. Aber das ist Ihnen alles sicher längst bekannt. Die Zeitungen sind voll davon.«
»Nein, nein!« Der blasse Mann war plötzlich beeindruckt. »Sie scheinen weit mehr zu wissen, als in den Zeitungen zu lesen war. Ich frage mich nur, woher beziehen Sie Ihre Weisheit?«
Nun war es Malberg, der eine gewisse Arroganz an den Tag legte und mit überlegenem Lächeln erwiderte: »Ich habe Bibliothekswissenschaften studiert und eine Diplomarbeit über verschollene Werke der Weltliteratur verfasst. Dazu zählt auch Gregor Mendels Werk
Peccatum Octavum
. Ich konnte nicht ahnen, dass eines Tages doch noch ein Exemplar auftauchen würde.«
Es ging auf Mittag zu, und die leise Unterhaltung der beiden in der letzten Reihe erregte bereits Unwillen im Auktionssaal.
»Würden Sie mir die Freude machen, mit mir zu Mittag zu speisen?«
Die vornehme Ausdrucksweise des Mannes blieb Malberg nicht verborgen. »Mit Vergnügen«, antwortete er, ohne zu ahnen, welches Abenteuer damit seinen Lauf nahm.
Das Bistro im nahe gelegenen Kunstblock strahlte die Kühle und Nüchternheit postmoderner Architektur aus und war bekannt für seine vorzügliche mediterrane Küche.
Zwischen Pasta und gegrillter Dorade, die der smarte Ober empfohlen hatte, nahm der Unbekannte das Thema wieder auf: »Sie meinen, es wird nicht leicht sein, das Buch, das in einer merkwürdigen Sprache geschrieben wurde, zu übersetzen?«
»Sicher nicht. Aber soweit ich mich erinnere, hinterließ Friedrich Franz, ein Bruder der Abtei St. Thomas in Brünn, in einem seiner Werke einen Hinweis auf das geheimnisvolle Buch des Gregor Mendel. Sowohl was den Inhalt als auch die verschlüsselte Sprache betrifft. Offensichtlich sollten nicht einmal seine Mitbrüder in der Abtei Kenntnis vom Ergebnis seiner Forschungen haben.«
»Sie kennen die Bedeutung des Buchtitels?« Der Fremde setzte ein süffisantes Grinsen auf.
»Wenn ich ehrlich sein soll – nein.«
»Dann habe ich Ihnen wenigstens etwas voraus!«
Malberg konnte sich nur schwer zurückhalten: »Ich bin gespannt!«
Der Unbekannte richtete den Oberkörper auf wie ein Kanzelredner, und mit einer theatralischen Handbewegung erwiderte er: »Die Moraltheologie kennt sieben Hauptsünden. Das sind Stolz, Geiz, Unkenntnis, Neid, Unmäßigkeit, Zorn und Trägheit. Nach Matthäus, 12. Kapitel, sagte Jesus: Jede Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben. Aber dann erwähnt der Evangelist eine weitere, achte Sünde, die Sünde wider den Heiligen Geist. Und diese, sagte Jesus, wird nicht vergeben werden, weder in dieser noch in der zukünftigen Welt.«
Malberg sah sein Gegenüber lange prüfend an. »Sie sind Theologe«, bemerkte er schließlich.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Sie gebrauchen Formulierungen, die nur unter Theologen üblich sind.«
Der andere hob die Schultern, ohne auf die Frage einzugehen. Stattdessen fuhr er fort: »Jahrhundertelang haben die Theologen gerätselt, worum es sich bei der Sünde wider den Heiligen Geist handeln könnte. Ich bin sicher, Gregor Mendel beantwortet die Frage in seinem Buch.«
»Soweit ich unterrichtet bin«, meinte Malberg, »steht der Heilige Geist in der Bibel für das Wissen und
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