Die Achte Suende
dreißigtausend Euro zu bezahlen, und stieg bei zwanzigtausend Euro aus.
Die Bietergefechte verliefen rege. Als der Auktionator nach knapp zwei Stunden die Katalognummer 398 aufrief, ging ein Raunen durch den Saal.
Das Buch aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hatte, vom Auktionator geschickt lanciert, bereits seit Tagen die Feuilletonseiten der Zeitungen gefüllt und Spekulationen über den zu erzielenden Preis, aber auch über den Inhalt des Werkes ausgelöst.
In der Tat war das Buch mit dem lateinischen Titel
Peccatum Octavum
– »Die achte Sünde« eine Sensation. Denn offiziell durfte es das Exemplar gar nicht geben, weil das Werk von Pius IX. verboten worden war. Auf päpstliche Anordnung mussten damals alle Bibliotheken durchsucht und entdeckte Exemplare im Beisein von Zeugen verbrannt werden.
Autor des Buches war ein Augustinermönch und Naturforscher namens Gregor Mendel, jener Mendel, der den Mendelschen Gesetzen seinen Namen gab, der Wegbereiter der Genetik. Mendel stammte aus Österreichisch-Schlesien, heute Tschechien, und dort lagerte das Exemplar seit Kriegsende unbeachtet in einem Antiquariat zwischen Karl-May-Erstausgaben und einem deutschen Exemplar der
Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
in der Abteilung »Fremdsprachen«. Ein Student der Genetik hatte das Buch für zwanzig Euro erworben, weil er den Namen des Verfassers kannte. Allerdings war das Buch, vom lateinischen Titel abgesehen, in einer seltsamen unleserlichen Sprache geschrieben, mit der er nichts anzufangen wusste. Hilfesuchend hatte sich der Student an das renommierte Auktionshaus gewandt und den Bescheid erhalten, es handle sich um eine bibliophile Kostbarkeit und könne auf einer Auktion eine sechsstellige Summe bringen.
»Ich beginne bei einem Rufpreis von fünfzigtausend Euro! Bietet jemand mehr?« Der Auktionator machte ein bedeutsames Gesicht, während er den Blick über die Bieter im Saal schweifen ließ. Eine Zeitung hatte den Wert des Buches, dessen Inhalt so geheimnisumwittert war wie seine Herkunft, auf hunderttausend Euro beziffert.
»Fünfundfünzig, sechzig, fünfundsechzig, siebzig, fünfundsiebzig, achtzig. Achtzigtausend zum Ersten!«
Stille.
»Fünfundachtzigtausend!« Der Auktionator zeigte auf einen Herrn im grauen Zweireiher in der ersten Reihe.
»Hunderttausend Euro!« Aus dem Hintergrund meldete sich eine Mitarbeiterin, die mit einem Telefonbieter verbunden war.
»Hunderttausend zum Ersten …«
Im selben Augenblick setzte ein Bietergefecht ein, bei welchem Telefon-und Saalbieter den Preis innerhalb von vierzig Sekunden auf zweihundertdreißigtausend Euro hochtrieben.
»Zweihundertdreißigtausend Euro«, wiederholte der Auktionator mit gespielter Ruhe, »zum Ersten … zum Zweiten …«
Plötzlich, als wäre er aus dem Schlaf erwacht, hob der Mann neben Malberg, ein blasser Typ mit langen, nach hinten gekämmten Haaren, mit der Bieternummer 222 die Hand.
»Zweihundertfünfunddreißigtausend Euro für den Herrn in der letzten Reihe. – Zum Ersten, zum Zweiten – niemand mehr? – Zum Dritten.«
Beifall im Saal, wie üblich, wenn besonders hohe Erlöse erzielt wurden.
Malberg sah seinen Nachbarn von der Seite an. Der verzog keine Miene und blickte starr geradeaus, als ginge ihn das alles nichts an. Auch im weiteren Verlauf der Auktion, bei der kostbare Inkunabeln unter den Hammer kamen, blieb der Unbekannte regungslos wie eine Statue.
»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie so einfach anspreche«, raunte Malberg dem blassen Typ zu. »Sind Sie ein Sammler?«
Wie eine Marionette drehte der Unbekannte ihm den Kopf zu und sah ihn aus tiefliegenden Augen an. Dann erwiderte er nicht unfreundlich, aber bestimmt: »Ich glaube, dass Sie das nichts angeht, mein Herr!« Obwohl sein Deutsch perfekt war, konnte man einen leichten italienischen Akzent heraushören.
»Natürlich nicht«, antwortete Malberg, und eigentlich betrachtete er das Gespräch damit als beendet. Doch der bleiche Mann fragte zurück: »Woraus schließen Sie, ich könnte ein Sammler sein?«
»Nun ja …« Malberg fiel die Antwort nicht leicht. »Nur Sammler geben eine so exorbitante Summe für ein Buch von fragwürdigem Wert aus.«
»Sie meinen, das Buch ist eine Fälschung?«
»Keineswegs. Im Gegensatz zum Kunstmarkt kommen auf dem Buchmarkt Fälschungen äußerst selten vor. Sie kennen sicher den Spruch: Camille Corot malte in seinem Leben über zweitausend Bilder, dreitausend hängen allein in Amerika. Nein, Bücher aus der
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