Die Achte Suende
das nicht der einzige Widerspruch, mit dem die Fideles Fidei Flagrantes leben …«
Soffici sah den Bruder prüfend an. Er war mittelgroß, etwa dreißig Jahre alt und wirkte gehemmt wie ein Novize.
»Das klingt nicht gerade so, als ob Sie der Bruderschaft mit Begeisterung zugetan wären.«
Der Bruder schluckte. Schließlich antwortete er bitter: »Da haben Sie recht.«
»Aber Sie haben sich freiwillig der Bruderschaft angeschlossen. Oder wurden Sie gezwungen?«
»Das nicht. Aber man hat mich mit Versprechungen gelockt, die sich in der Realität ins Gegenteil verkehrten. Das angekündigte Himmelreich wurde zum Fegefeuer, um nicht zu sagen zur Hölle – wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Da gibt es nicht viel zu begreifen«, erwiderte Soffici. Er war verwundert, dass der Kerl sich ihnen so bedenkenlos anvertraute. »Und warum kehren Sie den Flagrantes nicht einfach den Rücken?«
»Von hier aus gibt es kein Zurück. Nicht für mich!«
Der Monsignore sprang auf: »Was soll das heißen?«
»Soll heißen, Burg Layenfels hat einen Eingang, aber keinen Ausgang. Jedenfalls nicht für die, welche sich den Flagrantes einmal angeschlossen haben. Wer in die Bruderschaft eintritt, lässt sein bisheriges Leben hinter sich. Seine Herkunft, seine Bildung, sein Stand, sogar sein Name sind von einem Tag auf den anderen ausgelöscht. Bis auf einige wenige. Ich bin hier Zephyrinus.«
»Zephyrinus?«
»Der Name zählt zu jenen nicht mehr verehrten Heiligen, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil aus dem Kalender gestrichen wurden, weil sie eher legendär sind und angeblich keiner historischen Überprüfung standhalten.«
»Dies ist mir nicht unbekannt, Bruder in Christo. Aber warum greifen die Flagrantes auf diese alten Namen zurück?«
»Aus Protest gegen die Liberalisierungstendenzen der Päpste. In diesen Mauern passieren Dinge, die niemand versteht - von ein paar wenigen abgesehen. Und die behalten auch ihre weltlichen Namen. Leider gehöre ich nicht dazu.«
»Warum hat man Sie dann aufgenommen?«
»Warum wohl! Ich brachte ein nicht unbedeutendes Vermögen aus einer Erbschaft mit und hoffte auf ein ruhiges Leben.«
Zephyrinus reichte beiden eine altmodische Henkeltasse und eine Scheibe trockenes Brot. Soffici und Alberto hatten schon ein opulenteres Frühstück genossen. Aber sie hatten seit zwölf Stunden nichts gegessen. Deshalb aßen sie das trockene Brot mit Andacht.
»Haben Sie sich eigentlich Gedanken darüber gemacht, was zurzeit hier abläuft?«, erkundigte sich Soffici mit halbvollem Mund.
»Sie meinen die Sache mit dem Grabtuch unseres Herrn?«
»Genau das!«
»Ach wissen Sie, auf Burg Layenfels passieren so viele rätselhafte Dinge, da stellt man sich keine Fragen.«
Er stockte. Auf dem Gang hörte man ein Geräusch.
»Ich bitte Sie, drehen Sie den Wasserhahn ab«, zischte Zephyrinus aufgeregt.
Alberto kam der Aufforderung nach. Gespannt lauschten die drei in die Stille. Schritte näherten sich und verschwanden.
Nach einer Weile drehte Alberto den Wasserhahn wieder auf
»Warum tun Sie das?«, fragte Zephyrinus. Die Kerze flackerte und beleuchtete sein Gesicht.
»Wir haben unsere Gründe«, erwiderte Alberto, der dem Bruder trotz seiner kritischen Worte misstraute.
»Sagen Sie mir lieber, was mit dem Kardinal ist?«, sagte er dann unvermittelt. »Wo ist Gonzaga?« Er stellte seine leere Henkeltasse auf das Tablett zurück.
»Keine Sorge, er hat die Nacht ein paar Räume weiter in einer eigenen Kammer verbracht. Ich fand ihn schnarchend, als ich ihm das Frühstück brachte.«
»Was mich interessieren würde«, holte der Monsignore aus, »es heißt, die Flagrantes verfügten über unvorstellbaren Reichtum, Konten in Liechtenstein und Einnahmen aus Immobilien.«
Über Zephyrinus‘ teigiges Gesicht huschte ein verbittertes Lächeln. »Nicht nur das. Im Keller der Burg befindet sich ein altes, gut gesichertes Verlies, in dem Goldbarren in einer Menge gestapelt sind, die der Europäischen Zentralbank zur Ehre gereichen würde.«
»Und haben Sie das Gold je gesehen?«, fragte Alberto.
Zephyrinus hob die Schultern. »Das nicht. Von uns hat ja keiner Zutritt zu dem Verlies. Aber alle reden davon.«
Soffici schüttelte den Kopf und sagte: »Nicht die erste und nicht die einzige Bruderschaft, die unter dem Deckmantel des Glaubens dem Teufel in die Hände spielt. Aber ich will Ihnen nicht zu nahe treten!«
»Keineswegs«, erwiderte der Bruder, »die Flagrantes legen die Schrift nach eigenem
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