Die Achte Suende
Staat oder großen Banken. Neben der Wertanlage spielt dabei auch der Image bildende Faktor eine Rolle. Wie wollen Sie die viertel Million, in bar oder als Bankscheck?«
»Als Bankscheck«, antwortete Malberg beinahe verlegen. So einfach hatte er sich die Angelegenheit nicht vorgestellt. Wenn er sich erinnerte, wie unwillig sich Janik früher bei der Kreditvergabe verhalten hatte, dann konnte er fast nicht an sein Glück glauben. Jedenfalls verließ Lukas Malberg die Bank eine halbe Stunde später mit einem Bankscheck in der Tasche über eine viertel Million Euro.
Bevor er die Rückreise nach Rom antrat, sah Malberg in seinem Antiquariat an der Ludwigstraße nach dem Rechten. Fräulein Kleinlein, eine studierte Bibliothekarin, die kurz vor der Rente stand, führte das Geschäft seit beinahe zehn Jahren. Zwar war ihr Äußeres nicht gerade verkaufsfördernd, ihr Fachwissen jedoch umso mehr. Sie erkannte alle Drucker des fünfzehnten Jahrhunderts an ihren Schrifttypen, und was die ersten fünfzig Jahre der Druckkunst betraf, war ihr jede einzelne Ausgabe geläufig. Und das waren immerhin zweitausend.
Als Malberg das Antiquariat betrat, hatte Fräulein Kleinlein - sie legte Wert auf diese altmodische Anrede - gerade einen Kunden, der sich für ein illuminiertes Missale aus dem sechzehnten Jahrhundert interessierte. Malberg hatte es vor drei oder vier Jahren auf einer Auktion in Holland erworben und seltsamerweise bisher keinen Käufer gefunden.
Mit Engelszungen und viel Geduld erklärte Fräulein Kleinlein dem interessierten Kunden die kolorierten Kupferstiche und die Schrifttexte. Im Kontor sichtete Malberg inzwischen die Wochenbilanz. Der August war erfahrungsgemäß der umsatzschwächste Monat im Jahr. Museumsleute und Sammler waren im Urlaub.
Das Verkaufsgespräch verlief zäh. Malberg, der mit einem Ohr mithörte, gewann den Eindruck, dass der Kunde vor dem Kaufpreis von viertausend Euro zurückschreckte.
»Verzeihen Sie, wenn ich mich einmische«, Malberg trat aus dem Kontor, »aber es handelt sich bei dem Missale um ein ungewöhnlich gut erhaltenes Stück mit Originaleinband. Betrachten Sie die prachtvollen Kupferstiche. Die Kolorierung stammt aus der Zeit. Wir haben sie mit der Quarzlampe untersucht. Und was den Preis betrifft, bin ich gerne bereit, Ihnen entgegenzukommen. Sagen wir dreitausendfünfhundert!«
Behutsam blätterte Malberg Seite um Seite des kostbaren Folianten auf. Eher unterbewusst registrierte er die Datumsangaben für die Evangelien in der heiligen Messe: Sexagesima, Oculi, Laetare. Er hielt inne.
Aus der Jackentasche zog er Marlenes Notizbuch hervor. Fräulein Kleinlein warf ihrem Chef einen fragenden Blick zu. Der Kunde entschied sich zum Kauf. Aber Malberg fand kaum Interesse für das Geschäft.
Dass er nicht gleich darauf gekommen war! Hinter den seltsamen Eintragungen verbargen sich ganz bestimmte Kalendertage. Hastig klappte Malberg das Notizbuch zu. Ohne ein Wort zog er sich ins Kontor zurück und nahm an dem abgewetzten Biedermeier-Sekretär Platz, der ihm als Schreibtisch diente. Den Kopf auf die Hände gestützt, betrachtete er das aufgeschlagene Notizbuch.
Welches Geheimnis verbarg sich hinter den seltsamen Eintragungen? Plötzlich war sich Malberg nicht sicher, ob das überhaupt Marlenes Schrift war. Die Tatsache, dass er den Kalender in ihrer Wohnung gefunden hatte, sagte nicht unbedingt aus, dass es sich um ihre eigenen Eintragungen handelte. Malberg seufzte. Am liebsten hätte er den ganzen grässlichen Vorfall, in dem er nicht gerade eine rühmliche Rolle gespielt hatte, vergessen. Doch wie es schien, verfolgte ihn der Geist von Marlene.
Nach Abwicklung des Geschäfts betrat Fräulein Kleinlein das Kontor und legte sieben Fünfhundert-Euro-Scheine auf den Tisch. Sie war viel zu zurückhaltend, um Malberg nach dem Grund für sein seltsames Verhalten zu fragen.
»Fräulein Kleinlein«, begann Malberg schließlich, ohne den Blick von dem Notizbuch abzuwenden, »Sie sind doch einigermaßen bibelfest, jedenfalls ist Ihnen das Alte Testament geläufiger als mir. Was sagen Ihnen diese Eintragungen?«
Fräulein Kleinlein errötete ob der anerkennenden Worte ihres Chefs. Aber da gehörte nicht viel dazu. Das ältliche Fräulein wurde leicht verlegen, und mit Lob war sie nicht gerade verwöhnt. Umständlich rückte sie ihre viel zu große Hornbrille zurecht und begann in dem Notizbuch zu blättern, wobei sie nach jeder Seite den rechten Zeigefinger an der Unterlippe
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