Die Achte Suende
meinem Fall!«, entrüstete sich Malberg. »Es gibt keinen Fall Malberg. Hier geht es um die Ermordung von Marlene Ammer und die Gründe, warum ihr Tod vertuscht wird.«
»Sie haben ja recht«, bemerkte Barbieri beschwichtigend. »Aber im Moment hilft Ihnen das nichts. Jedenfalls sollten Sie alle diese Dinge meiden. Denn in Anbetracht des Aufwandes, der im Fall Ammer betrieben wird, müssen Sie damit rechnen, dass das Grab und die Wohnung der toten Signora, vermutlich auch das Haus der Marchesa überwacht werden.«
Kein Zweifel, dachte Malberg, dieser Barbieri ist bis in alle Einzelheiten informiert. »Dann sind Sie«, begann er zögerlich, »auch darüber informiert, dass Kardinalstaatssekretär Gonzaga bei Marlenes Beerdigung zugegen war.«
»Ich sage Ihnen jetzt mal was«, erwiderte Barbieri und schüttelte den Kopf. »In beinahe zwanzig Jahren bei der Polizei ist mir keine so rätselhafte Geschichte untergekommen wie diese. Offensichtlich gibt es da Zusammenhänge, von denen wir nichts ahnen. Die Ereignisse nach dem Mord an Marlene Ammer lassen eher darauf schließen, dass sich hinter dieser Untat ein anderes, noch größeres Verbrechen verbirgt.«
Und ausgerechnet du, dachte Malberg, bist in solch einen Fall verstrickt. Plötzlich sah er wieder Marlenes Gesicht vor sich, so wie er es vom letzten Klassentreffen in Erinnerung hatte: die dunklen Augen, ihre aufgeworfenen Lippen und die hohen Wangenknochen. Er hörte ihre tiefe, samtige Stimme, die sich seit der Schulzeit so sehr verändert hatte. Und vor seinem geistigen Auge tauchten die engen Gassen der bayerischen Schulstadt auf, die Steintreppen, die zum Rathaus führten, und die alte Jesuitenschule mit ihren hallenden Gängen, und der Fluss, der die kleine Stadt in zwei Hälften teilte. Malberg sah das alles vor sich, als ob es gestern gewesen wäre, und er fragte sich, wie das Schicksal Marlene aus dieser vollendeten Ordnung in das todbringende Chaos stürzen konnte, in das sie am Ende ihres Lebens geraten war.
Bei ihrem letzten Treffen hatten sie sich lange und angeregt unterhalten, wobei er – das wurde ihm jetzt klar – viel mehr von sich preisgegeben hatte als Marlene. Aber wie das so ist, bei einem Wiedersehen nach vielen Jahren hatten Anekdoten und Erinnerungen tiefer gehende Gespräche verdrängt. Jetzt machte er sich Vorwürfe.
Nach der langen Siesta, die in Trastevere länger dauert als anderswo in Rom, kam wieder Leben in die Straße: lärmende Kinder, klappernde Rollladen, die vor den kleinen Läden hochgeschoben wurden, und laute Rufe aus den oberen Stockwerken.
Nach längerem Schweigen wandte sich Malberg wieder Barbieri zu: »Auch wenn Sie es für riskant halten. Ich muss noch einmal in das Haus, in dem Marlene gelebt hat. Ihre Wohnung wurde einfach zugemauert. Das alles soll wohl den Eindruck erwecken, als habe sie nie dort gelebt. Dafür muss es doch einen Grund geben. Vielleicht finde ich irgendeinen Hinweis …«
»Sie sagten, die Wohnung ist zugemauert? Wollen Sie mit einem Presslufthammer vorgehen? Und was erwarten Sie in einer leeren Wohnung? Ich bitte Sie! Gehen Sie kein unnötiges Risiko ein!«
Barbieri nahm Malbergs Zeitung und kritzelte eine Telefonnummer auf den Rand. »Für den Notfall. Falls Sie mich brauchen.«
Kapitel 18
Niemand bemerkte, wie kurz vor Mitternacht auf dem Burgfried von Layenfels ein Fenster einen Spalt geöffnet wurde. Kurz darauf erschien ein Pfeil mit einer Eisenspitze in der Öffnung. Er war nach unten gerichtet, geradewegs auf das Dach des Quertrakts. Beinahe lautlos schwirrte der Pfeil durch das fahle Mondlicht. Im Bruchteil einer Sekunde traf er in Höhe der Dachrinne ein kleines Etwas, das einen Todesschrei von sich gab. Dann klatschte es drei Stockwerke tiefer auf das Steinpflaster. Stille.
Zehn Minuten mochten vergangen sein, als der Hämatologe Ulf Gruna und der Zellforscher Dr. Dulazek durch eine schmale, spitzbogige Tür in den Burghof traten. Dulazek hatte eine längliche Botanisiertrommel umgehängt, etwa dreißig Zentimeter lang und zehn Zentimeter dick.
»Ich wusste nicht, dass Sie ein so guter Bogenschütze sind«, murmelte Dulazek, während er die Hand über die Augen hielt und den Innenhof absuchte.
»Es ist schon ein paar Jahre her«, erwiderte Gruna im Flüsterton, »während meines Studiums in England gehörte ich einem Verein an. Wir trainierten zweimal die Woche. Seither habe ich den Sport nie aufgegeben.«
»Nicht ungefährlich, so ein Pfeil!«
»Allerdings. Dabei kommt
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