Die Achte Suende
dürrem Reisig. (Es ging nämlich das Gerücht, dass Sacchi der Selbstkasteiung frönte nach dem Vorbild des heiligen Dominikus.) Sacchi bekleidete das hohe Amt des Geheimarchivars Seiner Heiligkeit und war Leiter des Vatikanischen Archivs.
Mit der ihm übertragenen Macht wachte er über Dokumente, die nie einem einfachen Christenmenschen bekannt werden dürfen: über geheime Klöster, in denen die leiblichen Kinder von Priestern und Bischöfen aufgezogen wurden; über Heilige, die zu Lebzeiten weit weniger heilig waren, als die frommen Bilder in den Kirchen uns weismachten. Über Verfehlungen zwielichtiger Päpste. Und über Eheannulierungen hochgestellter Persönlichkeiten und ihre fadenscheinigen Begründungen.
Neben dem Monsignore hatte sich Frantisek Sawatzki niedergelassen, weißhaarig, Mitte fünfzig und in gekrümmter Haltung, sah er aus, als laste die Verantwortung für alles Leid der Welt auf seinen schmalen Schultern. Als Präfekt des Rates für die öffentlichen Angelegenheiten der Kirche oblag Sawatzki die undankbare Aufgabe, die einsamen Entscheidungen Seiner Heiligkeit mundgerecht unters Volk zu bringen. Er hatte aber auch aufflackernde Diskussionen geschickt im Keim zu ersticken, etwa wenn es um das Präputium, die Vorhaut unseres Herrn Jesus, ging und die Frage, ob Jesus bei seiner leiblichen Himmelfahrt nicht jenes Teil, von dem im Übrigen mehrere auf Erden als Reliquien verehrt werden, mit sich geführt habe.
Weit entfernt von solch blasphemischen Gedanken, aber auf Tuchfühlung mit ihm, starrte Archibald Salzmann naserümpfend auf die dunkle Tischplatte, von der ein penetranter Geruch einer Möbelpolitur ausging. Salzmann, ein Quereinsteiger der Kurie, was viele klerikale Neider auf den Plan rief, hatte es trotz seiner Jugend – und im Vatikan bedeutete das knapp über sechzig – bereits zum Prosekretär für das Bildungswesen gebracht und war damit zuständig für alle kirchlichen Universitäten und Bildungseinrichtungen. Nicht einmal seine Neider konnten ihm eine unglaubliche universale Bildung absprechen.
Ihm gegenüber, mit dem Rücken zur dunklen Fensterfront, saß John Duca, eher gelangweilt, Leiter des IOR, wie immer im grauen Flanell und mit einem feinen ironischen Lächeln auf den Lippen, was ihn deutlich von den anderen Schwarzröcken unterschied.
Professor Jack Tyson, Sohn des legendären Harvard-Professors John Tyson, der den Vatikan mit seinem Vorschlag, das Turiner Grabtuch gegen eine Fälschung auszutauschen, in arge Bedrängnis gebracht hatte, wartete zur Rechten Ducas und versuchte sich die Zeit zu vertreiben, indem er mit den Fingern seiner Rechten leise auf die Tischplatte trommelte. Bei genauem Hinhören konnte man durchaus den
River-Kwai-Marsch
erkennen.
Das wiederum erweckte den Unmut Monsignor Abates, des Privatsekrektärs von Kardinal Bruno Moro, der mit gespitztem Stift und einem Stoß leerer Blätter neben Tyson Platz genommen hatte, um jeden Satz, der hier gesprochen würde, zu protokollieren. Denn der Kardinal vertrat die Ansicht, nur was schriftlich niedergelegt sei, sei von Bedeutung. Abate warf Tyson einen strafenden Blick zu, aber erst als dieser nicht fruchtete, schüttelte der Monsignore so heftig den Kopf, dass der Professor das Trommeln mit einer entschuldigenden Geste einstellte.
Außer Tyson, der zu dem Colloquium extra aus Massachusetts eingeflogen war und zum ersten Mal einen Blick hinter die Leoninischen Mauern werfen durfte, war allen Anwesenden etwas gemein: Sie waren erbitterte Gegner von Kardinalstaatssekretär Philippo Gonzaga.
»Ich habe Sie zu nächtlicher Stunde hierher gebeten«, zerschnitt Moros heisere Stimme die gespannte Stille, während er sich von seinem Schreibtisch erhob und an der Stirnseite des Konferenztisches Platz nahm, »weil sich hier mitten unter uns ein ungeheures Verbrechen ereignet hat.« Mit einer auffordernden Handbewegung gab der Kardinal dem Geheimarchivar des Papstes ein Zeichen.
Sacchis mürrische Miene verfinsterte sich noch mehr, und ohne aufzublicken murmelte der Monsignore: »Das Grabtuch unseres Herrn Jesus – wohlgemerkt das Original – ist aus dem Tresorraum des Geheimarchivs verschwunden.«
Da sprang Frantisek Sawatzki auf und rief in höchster Erregung: »Was heißt verschwunden, Bruder in Christo? Würden Sie die Güte haben, sich etwas präziser auszudrücken?«
»Verschwunden heißt, es ist nicht mehr da!« Der Geheimarchivar blickte auf.
»Augenblick«, warf Archibald Salzmann ein, »das
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