Die Achte Suende
Vatikanische Geheimarchiv ist, soviel ich weiß, gesichert wie die Bank von England, und es gibt nur drei Menschen auf diesem Planeten, die ungehinderten Zutritt haben zu diesen Räumen. Das sind Seine Heiligkeit, Kardinalstaatssekretär Gonzaga und Sie, Monsignore, als Leiter des Geheimarchivs. Das schränkt die Zahl der Verdächtigen ziemlich ein. Meinen Sie nicht?«
Sacchi nickte heftig und sah hilflos in die Runde, wobei die Gläser seiner Nickelbrille funkelten, als wollten sie die feindseligen Blicke abwehren, die vorwurfsvoll auf ihn gerichtet wurden. »Es ist mir ein Rätsel, wie das passieren konnte«, stammelte er kleinlaut.
»Und seit wann wissen Sie von der Misere, Eminenza?«, erkundigte sich John Duca, an den Kardinal gewandt.
»Seit drei Wochen«, erwiderte Moro und klammerte sich nervös an die Armlehnen seines Stuhls. »Ich wollte Monsignor Sacchi die Gelegenheit geben, die Sache aufzuklären, bevor ich Ihnen die Katastrophe bekannt gebe.«
»Wer weiß bisher davon?« Archibald Salzmann, der Prosekretär für das Bildungswesen, rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.
Sacchi wollte antworten, doch der Kardinal fiel ihm ins Wort: »Als mich der Monsignore informierte, bat ich ihn, Seine Heiligkeit in Unkenntnis zu lassen. Er soll in Castel Gandolfo seinen Urlaub genießen. Und als Sacchi den Kardinalstaatssekretär zur Rede stellte, bekam Gonzaga einen Tobsuchtsanfall, der eines Christenmenschen unwürdig ist, und verdächtigte seinerseits den Geheimarchivar.«
Der Privatsekretär des Kardinals notierte heftig.
»Bei der Heiligen Jungfrau und allen Heiligen!« Salzmann schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Im Endeffekt kommen nur zwei Verdächtige in Frage: Monsignor Sacchi und Kardinalstaatssekretär Gonzaga!«
»Wenn Sie mich fragen …« Moro faltete die Hände, als wollte er zu einem inbrünstigen Gebet ansetzen. Dabei wurden die Knöchel auf seinen Händen weiß. Schließlich fuhr er fort: »Wir alle, die wir hier versammelt sind, sind keine Freunde Gonzagas – Gott möge uns verzeihen. Aber keine Stelle in der Schrift verlangt, dass wir das Böse lieben …«
»Eminenza, sprechen Sie doch aus, was Sie denken«, unterbrach Frantisek Sawatzki den Kardinal. »Gonzaga wird zunehmend zum Risiko für die Kurie. Er muss weg.«
Monsignor Abate warf Kardinal Moro einen fragenden Blick zu, als wollte er sagen: Soll ich diese Worte wirklich zu Papier bringen? Doch der Präfekt des Heiligen Offiziums deutete mit dem Finger auf das Protokoll, und Abate kam devot dieser Aufforderung nach.
»Verstehe ich das recht«, bemerkte Archibald Salzmann mit leiser Stimme, »Sie denken an ein Amtsenthebungsverfahren? So etwas gab es zuletzt im Mittelalter und unter Zuhilfenahme roher Gewalt!«
Kardinal Moro hob die Schultern. Er schwieg.
Zaghaft, wie es überhaupt nicht seinem Wesen entsprach, meldete sich John Duca zu Wort: »Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf – ich habe den Eindruck, mit ihren Kardinälen hat die Kurie in letzter Zeit wenig Glück …«
»Sprechen Sie auf Ex-Kardinal Tecina an?«, fragte Prosekretär Salzmann.
»Ganz recht.«
»Das ist doch Schnee von gestern! Angeblich hat er sich auf eine Burg am Rhein zurückgezogen. Vermutlich hat er seine Niederlage bei der Papstwahl noch immer nicht verwunden.«
»Tecina?«, fragte Sawatzki.
»Er hat sich und seinen Namen inzwischen ins Gegenteil verkehrt«, erklärte Duca.
»Was soll das heißen?«, wollte Sawatzki wissen.
»Der Ex-Kardinal liest seinen Namen nicht mehr von links nach rechts, wie es einem frommen Christenmenschen eigen ist, sondern von rechts nach links wie jene, die unserem Glauben feindlich gegenüberstehen.«
»A-n-i-c-e-t«, buchstabierte Sekretär Monsignor Abate halblaut vor sich hin.
Kardinal Moro schlug instinktiv ein Kreuzzeichen.
Und Archibald Salzmann, der Prosekretär für das Bildungswesen, fügte erklärend hinzu: »Das ist der Name eines Dämons, der Antichrist und die Verkörperung des Bösen.«
Der Kardinal musterte John Duca mit zusammengekniffenen Augen: »Woher wissen Sie eigentlich ...«
»Ich glaube«, begann John Duca umständlich, »ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig.«
Ungehalten erwiderte Kardinal Bruno Moro: »Sie machen mich wirklich neugierig!«
Duca nickte: »Um es kurz zu machen - ich habe mich vor ein paar Tagen heimlich mit dem Ex-Kardinal, der sich jetzt Anicet nennt,getroffen ...«
In dem kahlen Raum machte sich Unruhe breit.
»Verräter.«
»Das darf
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