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Die Achte Suende

Die Achte Suende

Titel: Die Achte Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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wurde laut – jedenfalls soweit es die Umstände zuließen. »Wenn Sie mich umbringen wollen, tun Sie’s. – Oder wollen Sie Geld? Nennen Sie mir Ihre Forderungen. Ich werde ihnen nachkommen.«
    »Sie halten die ganze Welt für käuflich. Sie haben einen ganz miesen Charakter, Herr Kardinal.«
    »Sie etwa nicht?« Obwohl die Umstände nicht gerade dazu angetan waren, ihn zu ermutigen, bewies Gonzaga erstaunliche Kaltschnäuzigkeit. Plötzlich fragte er: »Arbeiten Sie für Anicet, den ehemaligen Kardinal Tecina?«
    Die Frage kam unerwartet und löste Verblüffung aus.
    Immerhin dauerte es ein paar Sekunden, bis aus dem Lautsprecher die Antwort kam: »Ich würde eher sagen, Anicet arbeitet für mich!«
    Gonzaga konnte sich darauf keinen Reim machen. Doch langsam gewann er den Eindruck, dass der Unbekannte zunehmend nervöser wurde. »Wie viele Minuten habe ich noch?«, erkundigte er sich provozierend.
    »Fünfundsiebzig Minuten, wenn Sie meine Frage nicht beantworten. Wenn Sie reden, binden wir Sie umgehend los und entlassen Sie ins Warme. Die Temperatur zwischen den Schweinehälften beträgt minus neun Grad. Die Außentemperatur liegt bei angenehmen achtundzwanzig Grad.
Plus
, versteht sich!«
    Die präzisen Angaben bewirkten bei Gonzaga einen Schock. Das ursprüngliche Zittern wurde zu einem regelrechten Schüttelfrost. Gonzaga kamen Zweifel, ob er noch fünfundsiebzig Minuten würde durchhalten können.
    »Also«, vernahm er die fordernde Stimme, »wo ist das Tuch von Turin? Das Original!«
    »Auf Burg Layenfels. Ich habe es selbst dorthin gebracht. Das können Sie mir glauben!« Gonzagas Stimme drohte zu versagen. An seinen Lippen bildeten sich Eiskristalle. Er hatte das Bedürfnis, sie an der Schulter abzuwischen. Aber sein Hals steckte steif und unbeweglich zwischen den nach oben gebundenen Armen.
    »Ich sagte, das Original!«, brüllte die Stimme aus dem Lautsprecher. »Das Original!«
    »Bei der Heiligen Jungfrau und allen Heiligen! Es war das Original, das ich nach Layenfels brachte. Wie Sie vielleicht wissen, geschah das nicht ganz freiwillig.«
    »Sparen Sie sich die Details. Mein Mitleid hält sich in Grenzen.«
    »Tatsache ist, dass ich das Original nach Deutschland gebracht habe.«
    »Also gut, wenn Sie nicht wollen! Ich werde Sie in fünfzehn Minuten noch einmal ansprechen. Vielleicht kehrt bis dahin Ihr Erinnerungsvermögen zurück, wo sich das echte Tuch von Turin befindet.«
    Gonzaga vernahm ein deutliches Knacken. Dann war es still. Nur das Kühlaggregat gab ein monotones Geräusch von sich, ein leises unheimliches Heulen.
    Zusammenhanglose Gedanken jagten durch sein Gehirn: die Erinnerung an bunte Gräser im Wind auf den Wiesen um Castel Gandolfo, wenn er im Sommer den Papst besuchte. Die Fahrt nach Burg Layenfels mit dem Tuch um den Leib gewickelt. Die Sonnenstrahlen, welche am Nachmittag durch die hohen Fenster im Apostolischen Palast fielen und leuchtende Streifen in die Räume zeichneten wie auf den Heiligenbildern der Raffaeliten. Vor Gonzaga tauchte das verwackelte Bild einer Madonna auf mit schwarzen Haaren, dunklen Augen und einem geöffneten Mieder, aus dem üppige Brüste hervorquollen.
    Auf einmal hatte er Angst. Gonzaga fürchtete, das Bewusstsein zu verlieren, noch bevor sich der Unbekannte meldete. In Panik und mit vibrierender Stimme rief er, fast schnürte ihm die Kälte die Kehle zu: »He da, du Feigling! Ist da jemand, der mich hört?«
    Mit kurzem Atem blickte der Kardinal seinem Hauch hinterher, der sich zwischen den Schweinehälften verflüchtigte. Keine Antwort. Nicht einmal ein Knacken im Lautsprecher. Ohne die Lippen zu bewegen, begann Philippo Gonzaga das Credo der Messe in lateinischer Sprache zu sprechen. Tausendmal und noch öfter hatte Gonzaga das Glaubensbekenntnis hergesagt, mechanisch wie ein Automat. Aber jetzt, in der grauenhaften Umgebung, wo die Kälte an allen Gliedern nagte, wo er fürchtete, jeden Augenblick das Bewusstsein zu verlieren, dachte er ernsthaft nach über die Bedeutung der Worte:
Credo in unum deum, patrem omnipotentem, factorem coeli et terrae, visibilium omnium et invisibilium. Et in unum dominum Jesum Christum, filium dei unigenitum. Et ex patre natum ante omnia saecula …
    »Können Sie mich hören?«, unterbrach der Unbekannte aus dem Lautsprecher den Lauf seiner frommen Gedanken. »Nur noch ein paar Minuten, dann haben wir die Idealtemperatur von minus achtzehn Grad erreicht.«
    Gonzaga wollte antworten, aber es ging nicht. Er

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