Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Achte Suende

Die Achte Suende

Titel: Die Achte Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
Vom Netzwerk:
fürchtete, sein Unterkiefer könnte abbrechen, wenn er ihn nach unten bewegte. Er kam sich vor wie eine Marmorstatue des Michelangelo. Ein Hammerschlag, und er würde in tausend Stücke zerbrechen. Seine Einzelstücke, Beine und Arme, die Finger würden auf dem harten Boden zerspringen.
    »Gonzaga, können Sie mich hören?«, vernahm er erneut die unbekannte Stimme.
    Er schwieg.
    »Verdammt, er kollabiert!«, hörte Gonzaga aus dem Lautsprecher. »Fahren Sie die Temperatur hoch. Ein toter Kardinal nützt uns überhaupt nichts. Im Gegenteil, eine Kardinalsleiche macht nur Schwierigkeiten.«
    Es war das Letzte, was Kardinalstaatssekretär Philippo Gonzaga wahrnahm. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Kapitel 32
    Über Nacht hatte es zu regnen begonnen. Es war der erste Regen seit zweieinhalb Monaten nach einem trockenen Sommer.
    Obwohl Barbieri ihn gewarnt hatte, gewisse Orte aufzusuchen, machte sich Malberg am Morgen auf den Weg zum Cimitero am Campo Verano, wo Marlene anonym beerdigt worden war. Gefragt, was ihn dorthin trieb und warum er alle Warnungen außer Acht ließ, hätte er wohl selbst keine Antwort gewusst. Er fühlte sich wie ein Getriebener.
    Immer noch saß die Enttäuschung über Caterinas Bruder Paolo, der ihn hintergangen hatte, tief. Noch mehr aber schmerzte ihn die Erkenntnis von Caterinas Verrat. Sie hatte sich seit ihrem Streit auf dem Campo dei Fiori nicht mehr bei ihm gemeldet. Für Malberg ein klarer Beweis für ihr verlogenes Verhalten. War es die Eifersucht auf Marlene, die sie zu dem Verrat getrieben hatte? Malberg zuckte mit den Achseln. Jetzt war er an einem Punkt angelangt, an dem man das Leben nur noch mit ein paar Promille ertragen kann. Und dafür trug er eine Flasche Averna mit sich herum, die er unterwegs in einem Tante-Emma-Laden erstanden hatte. Das klebrige Gesöff ersetzte ihm den Morgenkaffee.
    Dicke Regentropfen klatschten in sein Gesicht, als er den weitläufigen Friedhof betrat. Die nasse Kleidung klebte wie eine zweite Haut an seinem Körper. Seine Erscheinung ähnelte der eines Penners, wie sie in großer Zahl um die Stazione Termini herumlungerten.
    Malberg hatte sich die Lage der Grabstelle genau eingeprägt. Aber in der Aufregung damals hatte er wohl manches durcheinandergebracht. Jedenfalls dauerte es eine Weile, bis er sich in dem ausgedehnten Gräberfeld mit seinen tempelartigen Mausoleen, der Ansammlung kitschiger Engelsfiguren und den pompösen Steinen mit tränenreichen Sprüchen halbwegs zurechtfand.
    Obwohl es noch früh am Morgen war, herrschte auf dem Cimitero Geschäftigkeit wie auf einem römischen Markt. Jeder war mit sich und seiner Trauer beschäftigt und versuchte sie auf seine Weise zu bewältigen. Vor einem unscheinbaren, aber nicht schmucklosen Grab saß eine alte Frau unter einem Regenschirm und las ihrem verstorbenen Mann laut die Zeitung vor – so wie sie es vermutlich lange Jahre jeden Morgen getan hatte. Auf einem anderen Grab, dessen Inschrift die Tote als Schaustellersgattin auswies, stapelten sich Teddybären, Seidenblumen und rote Lebkuchenherzen wie die Gewinne einer Schießbude. Aus der Ferne vernahm man die salbungsvolle Stimme eines Grabredners, der einen lebenslangen Geizhals zu einem Wohltäter hochredete: »Er war stets ein Vorbild für uns alle.«
    Nach einem langen Irrweg stieß Malberg auf das gesuchte Areal 312 E. Doch an der Stelle, wo Marlenes Grab sein musste, befand sich eine Grabstätte aus schwarzem Marmor, und in den schwarzen Stein gemeißelt eine Inschrift, die Malberg in tiefe Ratlosigkeit stürzte:
    Jezabel
Fürchte dich nicht vor dem,
was du zu leiden hast
    Jezabel? Malberg sah sich um. Er war ganz sicher, dass dies Marlenes Grab war. Jezabel? Was hatte diese seltsame Inschrift zu bedeuten?
    Nach allem, was er bisher erlebt hatte, wunderte er sich nicht einmal über das teuflische Verwirrspiel. In Augenblicken wie diesem fühlte er sich einem übermächtigen Gegner ausgeliefert.
    Während er über den Sinn des Namens und der Inschrift nachdachte, näherte sich aus dem Hintergrund ein ratterndes Motorengeräusch. Malberg wandte sich um und entdeckte einen schmalspurigen Bagger, der Kurs auf ihn nahm. Die Zeiten, in denen Gräber noch mit der Schaufel ausgehoben wurden, dachte Malberg, waren vorbei. Von Toten
gräber
, ging es ihm durch den Kopf, konnte wohl keine Rede mehr sein. Eher von Toten
baggerer
.
    Also schenkte er dem Toten
baggerer
keine weitere Beachtung, nahm einen Schluck aus seiner Flasche, schloss die Augen

Weitere Kostenlose Bücher