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Die Achte Suende

Die Achte Suende

Titel: Die Achte Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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und versuchte Zwiesprache zu halten mit Marlene, die er zweieinhalb Meter tiefer im Erdreich wusste.
    Das Vorhaben misslang, weil der Toten
baggerer
, nur eine Grabreihe entfernt, haltmachte und den Motor abstellte. Die Hydraulik der Maschine quittierte die unterbrochene Zündung mit einem heftigen Zischen, und der Baggerführer öffnete die verglaste Seitentür.
    Staunend verfolgte Malberg, wie sich aus dem Innern der beengenden Gerätschaft ein kleiner Mensch löste, dessen untersetztes Äußeres die Frage aufwarf, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Er oder sie hatte ein teigiges Gesicht. Die dunklen Haare waren so kurz geschoren, dass stellenweise die Kopfhaut durchschimmerte. Was seiner – oder ihrer – Erscheinung an Körpergröße vorenthalten worden war, hatte in seinen – oder ihren – Augen einen Niederschlag gefunden. Malberg hatte noch nie so große Augen gesehen.
    Erst als die kleinwüchsige Gestalt auf ihn zukam, gewann Malberg aus ihren Bewegungen die Erkenntnis, dass es sich um einen Mann handeln musste. Nun sind Totengräber von Natur aus außergewöhnliche Menschen; doch der, der ihm mit einem freundlichen Kopfnicken entgegentrat, war zweifellos noch außergewöhnlicher.
    Mit Händen und Armen vollführte er seltsame Bewegungen. Dazu sprach er kein Wort, jedenfalls keines, das man hören konnte. Er formte vielmehr mit den Lippen unterschiedliche Vokale. Ganz allmählich begriff Malberg, dass der Baggerführer taubstumm war.
    Mit dem Zeigefinger deutete er abwechselnd auf ihn und auf Marlenes Grab. Malberg fasste dies als Frage auf, ob er und die Tote in dem Grab in irgendeiner Verbindung standen.
    Er nickte zustimmend.
    Dann legte der Mann mit dem weichen Gesicht seine rechte Hand auf sein Herz und sah ihn mit seinen großen Augen an.
    Ja, nickte Malberg zustimmend. Er habe sie geliebt. Er begann sich zu wundern, wie gut man sich ohne Sprache verständlich machen konnte. Schließlich zog er seine Flasche aus der Tasche, öffnete den Schraubverschluss und reichte sie dem kleinen Mann.
    Der machte eine abwehrende Handbewegung. Erst nachdem Malberg selbst einen tiefen Schluck genommen hatte, griff er zu. Dabei verschluckte er sich und hustete sich die Seele aus dem Leib. Aber als er zu Atem kam, gab er ein Zeichen wie gut ihm der Averna geschmeckt habe. Dazu setzte er ein mühsames Lächeln auf.
    »Hast
du
das Grab ausgehoben?«, erkundigte sich Malberg, sorgsam darauf bedacht, dass der Baggerführer seine Worte von den Lippen lesen konnte.
    Ja, meinte dieser und zeigte auf sein abgestelltes Gerät. Aber dann geschah etwas Unerwartetes. Der kleine Mann deutete erst auf Marlenes Grab, dann legte er den Zeigefinger seiner Rechten auf die Lippen, als wolle er andeuten: Ich darf nichts sagen.
    »Was soll das heißen, du darfst nichts sagen?«
    Staunend verfolgte Malberg seine Handbewegungen, mit denen er Geld von seiner Rechten in die Linke zählte.
    »Man hat dir Geld dafür gegeben, dass du schweigst?«
    Ja.
    »Wer?«
    Mit dieser Frage stieß Malberg auf deutliche Abwehr. Nein, er wolle die Frage nicht beantworten.
    Doch als Malberg einen Fünfzig-Euro-Schein aus der Tasche zog und ihm zusteckte, änderte der kleine Mann seine abwehrende Haltung abrupt. Er faltete die Hände wie zum Gebet. Dann fuchtelte er mit den Armen wild herum und zeigte in eine bestimmte Richtung.
    »Ein frommer Mann hat dich bestochen, damit du über alles schweigst?«
    Ja. Mit beiden Händen beschrieb der Totenbaggerer die Umrisse einer hohen Kopfbedeckung. Er tat dies mit solcher Genauigkeit, dass es Malberg nicht schwerfiel zu erkennen, was er meinte.
    »Ein Bischof oder Kardinal aus dem Vatikan?«
    Ja. Seine ausdrucksstarken Augen leuchteten. Er war stolz, wie gut er sich verständlich machen konnte.
    »Du kanntest den Mann?«
    Ja.
    »War es etwa Philippo Gonzaga, der Kardinalstaatssekretär?«
    Der war es. Der Totengräber tupfte mit dem Zeigefinger auf die Handfläche seiner Linken.
    »Und der Name auf dem Grabstein? Jezabel, weißt du, was das heißt?«
    Der Kleine schüttelte den Kopf mit übertriebener Heftigkeit, sodass Malberg Zweifel kamen, ob sein Gegenüber nicht doch mehr wusste, als er zuzugeben bereit war. Vermutlich musste er etwas tiefer in die Tasche greifen, um den Totengräber zum Reden zu bringen. Ein Mann, der mit hunderttausend Dollar in der Plastiktüte unterwegs ist, dachte Malberg, wird kaum nur fünfzig Euro zahlen, wenn es darum geht, einen Augenzeugen zum Schweigen zu

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