Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
wie 20 bräsige Schwangere zusammen. Nichts war zu befürchten, keinen Ratschlag konnte Trine ihr geben außer dem, im Alltag körperliche Anstrengungen zu vermeiden. Aber nur die großen Anstrengungen, keineswegs sollte sie ihr bisheriges Leben umkrempeln, denn der beste Schutz für das Kind war Olivias Körper, in dem es sanft schaukelte und wunderbar gegen die Stöße des Lebens gedämpft war.
Auch Trine fragte sich, wer wohl als Vater in Frage kommen konnte. Olivia besaß ein Talent, diesbezügliche Fragen lächelnd entgegenzunehmen und so zu reden, dass man annahm, es handele sich um die Antwort. Doch ein Name fiel nie, ein Hinweis wurde nicht gegeben. Selbst neugierigen Fragenstellerinnen wie Trine Deichmann gelang es nicht, eine Fährte aufzunehmen. Dass Olivia glücklich war, stand außer Zweifel. Um ihre Zukunft machte sie sich augenscheinlich keine Sorgen. Trine hoffte, dass Rogges nicht mit einer unangenehmen Überraschung aufwarten würden. Soweit Trine wusste, besaß Olivia kein Vermögen. Von Familienangehörigen war nie die Rede gewesen. Renten und andere Zahlungen standen nicht zur Verfügung. Ihre Mitgift passte in eine Truhe. Würde die Wiege auch in den kleinen Raum passen, in dem Olivia lebte und schlief?
Eine Frage hätte Klarheit geschaffen, doch Olivias Zuversicht hemmte jede Neugier. Niemand wollte schlafende Hunde wecken, niemand wollte mit einer Frage zehn neue Fragen wecken, an deren Ende das Strahlen aus Olivias Gesicht gewichen sein würde.
Olivia wollte unbedingt betastet werden, sie drängte sich Trine geradezu entgegen. Sie nannte es »Untersuchung«, aber Trine wurde den Verdacht nicht los, dass sie einfach die Berührungen genoss. So untersuchte sie, riet zu Spaziergängen und überschaubarer Lebensweise. Sie riet von blähendem Gemüse ab und erlaubte ein Glas Likör. Und Gesellschaft, der Kontakt mit anderen Menschen würde sicher gut tun. Es mussten keine Schwangeren sein, nicht einmal Frauen. Trine fand diesen Ansatz nicht dumm, aber auch diesmal bekam sie Olivia nicht zu packen.
Sie zog ihre Anwesenheit im Haus so sehr in die Länge, bis es nicht mehr schicklich war.
6
Gar zu gern hätte sie diesem ersten Hausbesuch einen anderen folgen lassen. Doch derjenige, der auf dem Weg lag, wurde von einer der anderen städtischen Hebammen betreut. Und es gab ja auch Lübecker, die auf die Dienste von Hebammen zurückgriffen, die mit der Stadt nichts zu schaffen hatten und auf eigene Rechnung arbeiteten. Unmöglich, in ihre Zuständigkeit einzugreifen. Empörte Mienen wären die Folge gewesen.
Deshalb musste sie nach Hause, kein Weg führte daran vorbei. Ein Haus, in dem ihre beiden Töchter warten würden, die kleine und Maret, die schon so selbstständig war, dass sie in der Gaststube aushalf. Seit drei Wochen jeden Abend und tagsüber auch.
Denn der, der dafür zuständig war, hatte Besseres zu tun. Trine Deichmann hatte ihren Joseph im Verdacht, sich herumzutreiben, mit anderen Frauen oder – noch schlimmer – mit einer einzigen.
Diesen Verdacht hatte sie noch nicht gehabt, seitdem sie Joseph kannte. Aber nicht nur deshalb drückte sie der Verdacht so nieder. Das Schlimmste war, dass sie sich nicht erlauben wollte, dieses Gefühl zu spüren. Sie war zu klug dafür, sie wusste zu viel von den Menschen und von den Männern erst recht. Nicht weil sie sich in ihren 38 Jahren mit vielen abgegeben hätte, sondern weil sie seit vielen Jahren einen Beruf ausübte, der sie mit vielen Männern zusammenbrachte. Es gab treue Männer und andere. Die treuen waren hässlich oder krumm, zu klein oder zu groß, zu dumm oder zu beredt. Die anderen mochten Frauen als solche, und wenn die Gelegenheit günstig war, griffen sie zu oder ließen sich greifen.
Joseph Deichmann gehörte zu den drei bestaussehenden Männern, die Trine kannte. Der zweite war ein Pfaffe und der dritte von Adel. Joseph Deichmann kannte jeden zweiten Lübecker, und jeder zweite Lübecker kannte Joseph. Seine Fluchbüchse gehörte zu den Gasthäusern, über die man redete. Der eine ging dorthin, um unter seinesgleichen zu sein, der andere tat es, um neue Gesichter zu sehen. Die Reichen und Wichtigen saßen an einem Tisch mit den Pfiffigen und Illegalen, und zwischen ihnen saßen Soldaten und Richter, Barbiere und Gelehrte, und alle freuten sich, so viel Welt auf so begrenztem Raum zu erleben.
Die Fluchbüchse war wie eine Insel, die man gern besuchte, weil man wusste, dass man mit heilen Knochen nach Hause kommen
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