Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
sich, die ihr in den Häusern der reichen Lübecker widerfahren waren. Sie tat es, um Joseph zu schützen, denn der Mann war eine schreckliche Plaudertasche – für einen Gastwirt ein Schwert, mit dem man sich leicht ins eigene Fleisch schnitt.
Mehr als einmal hatte sie zu ihm gesagt: »Du bist neugierig wie ein Weib.«
Er hatte erwiderte: »War das ein Lob oder ein Vorwurf, Weib?«
Damit spielte er auf eine Eigenschaft Trines an, über die sie nie redete: Sie war doppelt so neugierig wie ihr Joseph. Wie oft hatten sie miteinander über schickliche und unschickliche Neugier gestritten! Mit keinem anderen Menschen konnte sich Trine so liebevoll beharken wie mit Joseph. Aber das zählte nun alles nicht mehr, jetzt gab es ein neues Thema: Vertrauen. Seit drei Wochen ging Joseph eigene Wege. Es hatte überraschend begonnen, als Trine es nicht mehr ignorieren konnte, war es schon eine Woche so gegangen. Joseph, der Abend für Abend im Gasthaus die Regie führte, hatte auf einmal keine Zeit mehr für seine Pflicht. Kaum, dass er Zeit fand, seiner ältesten Tochter eine Einführung in alle anfallenden Aufgaben zu geben. Von ihr hatte er keine bohrenden Fragen zu befürchten, das Mädchen brannte darauf, allen zu beweisen, wie selbstständig sie schon war.
Und dann verschwand er, musste angeblich dringend nach außerhalb, tagelang, um sich mit Leuten zu treffen. Männern natürlich, er traf sich stets mit Männern. So schlau war er. Aber Trine fragte sich, wem er eigentlich etwas vormachen wollte. Sie kannte doch Josephs heimliche Passion, und er wusste, dass sie sie kannte. Sie wusste auch, dass an diesem Punkt zwangsläufig Frauen ins Spiel kamen.
Joseph Deichmann war ein Hexenmeister. So nannte er sich gern und ließ sich von Eingeweihten und Freunden bereitwillig so nennen, obwohl es sich nicht genau so verhielt. In seinem früheren Leben war Joseph Apotheker gewesen, er war es noch, als er seine Trine kennenlernte . Als Apotheker verkaufte er Kräuter und Mixturen, die Kranke heilten, Schmerzen linderten, Wohlgefühl erzeugten. Kräuter, ganz oder zerstampft, Salben, frisch angerührt zum Einreiben, Tee, ätherische Öle zum Inhalieren – vom Apotheker ging niemand ungetröstet nach Hause.
Jeder Apotheker hatte einen nach hinten liegenden Raum. In ihm wurde geschnitten, zerstampft, angerührt. Hinter diesem Raum lag ein weiterer Raum, oft ein Keller, jedenfalls ein Raum, in den niemand zufällig hineinstolperte, weil er die falsche Tür geöffnet hatte. Die Tür dieses Raums war verschlossen. Noch besser war es, wenn die Tür so versteckt war, dass man sie nicht entdeckte und keine Fragen stellen konnte.
Der Apotheker Joseph Deichmann verfügte über so einen Raum wie jeder seiner Kollegen. Dort lagerten die Kräuter, die das Bewusstsein auf unvergessliche Reisen mitnahmen. Dort gab es Salben, die dem Menschen Fähigkeiten verliehen, an die ein banaler Sud aus Kampfer und Melisse nicht heranreichte. Dort standen in Flaschen Essenzen und Destillate, die einer Frau halfen, Umstände zu beenden, in die sie nicht kommen wollte oder durfte, egal aus welchen Gründen.
Zu dieser Zeit waren Abtreibungen streng verboten. Wie immer, wenn eine Tat auf dem Index steht, war gleichzeitig bekannt, welche Berufsgruppen dafür in Frage kamen, das Verbot zu übertreten. Im Fall der Abtreibungen waren das Hebammen und Apotheker, aber auch Mediziner und weise Frauen – vom Kräuterweib bis zur Hexe. In den Dörfern lebten mehr von diesen Frauen als in den Städten. In einer großen Stadt wie Lübeck, deren Einwohner von den herrschenden Protestanten zu rigider Moral ohne Wackeln und Wanken gedrängt wurden, hatten es Menschen schwer, die im Verdacht standen, mit schwarzen Mächten, mit Hexen und übernatürlichen Tätigkeiten vertraut zu sein.
Trine und Joseph Deichmann mit ihrem beruflichen Hintergrund bildeten von daher ein brisantes Gespann. Es bedurfte nur eines Auslösers, und man würde Jagd auf sie machen.
Dies war der Grund für eines von Josephs Geheimnissen. Er behielt für sich, dass er mit seiner Vergangenheit als Apotheker nicht vollends abgeschlossen hatte. In gewissen Kreisen Lübecks genoss er einen Ruf. Er war die Adresse, an die man sich wandte, wenn man seinen Leib vom gegenwärtigen in den vorigen Zustand zurückversetzen wollte. Er war die Adresse, die das Gewünschte besorgte. Seine Preise waren nicht exorbitant, seine Leistung war von guter Qualität und erfüllte ihren Zweck.
So ging das schon seit
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