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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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musste. Aber das bedeutete nicht, dass diese Pest auch ins Kontor einziehen sollte. Die Welt der Zahlen war eine reine Welt: ohne Schatten und Zwischentöne. Jede Zahl sang ihr Lied mit einem Text, an dem es keinen Zweifel geben konnte.
    Deshalb war er so empört, als es ihm nicht gelang, Anna Rosländer auf eine Zahl festzuklopfen. Sein erstes Angebot von 3.000 steigerte er über 3.500 bis auf am Ende 4.500 Taler. Diese Zahl war reiner Wahnsinn und lag weit jenseits jeder Vernünftigkeit. Aber Anna reagierte auf 4.500 wie auf 3.000, bevor sie in altkluger Rede davon sprach, dass es ihr nicht um Geld gehen würde.
    Er ließ sich darauf ein, den toten Rosländer zu loben, obwohl er den Kerl für ein aufrecht gehendes Tier hielt. Was Anna wissen musste. So rettete er sich vom glatten Eis und redete ihr zu, an sich zu denken und ihr künftiges Leben zu genießen:
    »Ihr seid keine Handwerkerfrau, die nur einen Polier anstellen muss, damit das Geschäft weitergehen kann. Ihr seid die Witwe eines großen Mannes, das Geschäft ist zu groß und mit zu hohen Risiken behaftet. Eine Fehlentscheidung, und Ihr wackelt. Eine zweite Fehlentscheidung, und Ihr seid bankrott. Dann stehen Eure Leute auf der Straße, jeder kann sich bedienen, und sie werden sich für einen Bruchteil ihres jetzigen Einkommens verdingen müssen. Das könnt Ihr nicht wollen.«
    An dieser Stelle setzte sie ihn davon in Kenntnis, was bei ihr die Angestellten verdienten. Schnabel lachte, er glaubte nicht, dass Rosländer diesem Lohn zugestimmt haben könnte. Anna schwieg. Zwei Tage später hatten zwei Angestellte, diskret befragt, die Richtigkeit ihrer Angaben bestätigt. Dann fiel einer der Sätze, die Schnabel im Nachhinein als Wendepunkte erkannte.
    Anna sagte: »Ich fühle mich noch nicht alt genug, um eine Witwe zu sein. Ich meine: wie eine Witwe zu leben.«
    »Vielleicht heiratet Ihr wieder.«
    »Darauf würde ich an Eurer Stelle nicht warten. Man kennt mich zu gut. Selbst die größte Gier nach Geld wird nur einen lebensmüden Mann an meine Seite treiben.«
    Unerwartet hatte sie sich bei Schnabel eingehakt: »Wie wär’s mit uns beiden?«, hatte sie in neckischem Ton gefragt und wollte sich vor Lachen ausschütten, als er sie entsetzt anblickte. Er dachte: Dich kriege ich mit Leichtigkeit auf die Knie. Aber er war verheiratet und wusste, dass er es so bequem nicht mehr haben würde. Seine Frau war streitlustig und hörte auf das, was die Pfaffen predigten, aber sie war berechenbar, auch in ihren schlimmen Angewohnheiten.
    »Auf Euch warten noch viele Abenteuer«, sagte Schnabel. Dann zählte er auf, wobei ihm sehr schnell nichts mehr einfiel. »Ihr könnt malen, Euch in den schönen Künsten erproben. Es gibt Maler in der Stadt, die Euch gern unterrichten würden.«
    »Falls Ihr Kropf meint, den würde ich am zweiten Tag in seinem eigenen Farbtopf ertränken.«
    An diesen minder talentierten Schleimbeutel hatte er in der Tat gedacht. So bot er ihr an: Musik, Dichten, Botanisieren, Reisen, Gründung einer Stiftung. Die Ärmsten der Armen warteten dringend auf eine Verbesserung ihrer bedauernswerten Lebensumstände, Waisenkinder sehnten sich nach neuen Eltern, Landstreicher träumten von einem Dach über dem Kopf.
    »Eurer Stimme fehlt es an Überzeugungskraft«, entgegnete Anna lächelnd.
    Schnabel wusste das. Ihm gingen die Sorgen der Armen nicht nahe. Lieber erhöhte er auf 4.700, das ging ihm sehr nahe. In seiner Not bot er Anna sogar an, nominell weiter das Sagen zu haben. »Jeder Stapellauf fällt in Eure Zuständigkeit.«
    »Ich habe kein Talent zum Grüßaugust. Wenn Ihr nicht noch etwas in der Hinterhand habt, werden wir nicht zusammen kommen.«
    Dann schenkte er ihr ein Haus. Er konnte selbst nicht glauben, dass er das gesagt hatte. Erstaunt blickten sich beide an. Anna lachte, Schnabel stimmte ein und sagte: »Ihr macht es einem nicht leicht.«
    Danach konnten sie zum ersten Mal halbwegs vertraut miteinander reden. Etwas Menschliches war geschehen, das Eis war gebrochen. Als Anna eine Woche Bedenkzeit vorschlug, stimmte er sofort zu.

8
    »Das war ein Fehler , ich wusste es sofort«, knurrte Schnabel, als man abends im Salon zusammensaß . Sechs Männer, neben Schnabel ein weiterer Werftbesitzer, zwei Kaufleute, Ratsherr Gleiwitz und der Theologe Distelkamp, dessen Eigenschaft es war, mit einflussreichen Leuten vertraut zu sein, hatten Schnabels Einladung Folge geleistet.
    Jeder trug zusammen, was er im Verlauf der letzten beiden Tage

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