Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
einen langen Hals. Man fragte, sie blieb die Antwort nicht schuldig, eine zweite Frage, man war im Gespräch. Rosalia besaß eine Art, ihre Gedanken zu äußern, die den Zeichner auf Ideen brachte. Rosalia legte ihre Befangenheit ab, ihr Finger berührte zum ersten Mal die Zeichnung, Fragen, Gedanken, ein Scherz, den der Zeichner ernst nahm. »Ihr habt eine Art!«, rief er. Als Mann war er ihr einerlei, er hatte gar nichts Spanisches, war zu blond und dänisch. Aber es bürgerte sich ein, dass Rosalia ihre Meinung sagte. Wenn sie die Herrin bediente, verließ sie nicht auf kürzestem Weg den Raum, sondern stand am Tisch; es kam der Tag, an dem sie sich herunterbeugte; es kam der Tag, an dem sie plötzlich saß, und der Zeichner stand neben ihr und nickte ihr, als sie erschreckt hochfahren wollte, beruhigend zu, und hinter ihr stand die Herrin und drückte sie auf den Stuhl zurück.
So wurde Rosalia zur Technikerin. Die Zeichnung ging ihr nicht mehr aus dem Sinn. Sie wagte es nicht, eine eigene Zeichnung zu erbitten, man trug es ihr auch nicht an. Aber sie hatte alles, was sie wissen musste, im Kopf. Sie war die Dienstmagd Rosalia, die nie ihren Vater kennengelernt hatte. Als Kind hatte sie aus Holzstücken Türme und Burgen gebaut. Nie hatte sie einen Salto gelernt, kein einziges Mal hatte sie sich im Tanz bewegt, wie ihre Mutter es so gern gesehen hätte. »Du hast nichts von ihm«, hatte sie behauptet, ein Fuß trat zu, ein Turm stürzte ein, ein kleines Mädchen bekam keine nassen Augen, sondern baute den Turm neu. Sie hatte im Kopf, wie er aussehen sollte, sie brauchte keinen Plan.
So wiederholte es sich Jahre später bei dem Schiff, über das die Herrin mit dem Zeichner sprach. Er war mehr als ein Zeichner, ohne seinen Verstand und seine Fantasie wäre das Papier leer geblieben. Er liebte an ihr nicht, wie sie aussah und ihre zarte Haut. Er liebte, was in ihrem Kopf war. Das gefiel ihr. Wenn es einen Mann gab, der so war, musste es auch einen zweiten geben.
Kurz darauf stand er vor ihr. Er war ein Freund des Zeichners der Herrin. Rosalia mochte es, dass er gleich vom Schiff sprach, erst von Schiffen allgemein, danach von dem speziellen. Einen Plan hatte er nie gesehen, er konnte sich nur vorstellen, was er vor sich sah. Rosalia lachte ihn aus, er nahm ihr das nicht übel. Zweimal liefen sie sich über den Weg, er war großzügig, aber er protzte nicht mit seinem Geld. Rosalia genoss es, mit einem Mann auszugehen, der ihr nicht zu nahe kommen wollte. Sie sprachen nicht nur, aber immer wieder über Schiffe. Er wusste einiges und zeichnete es auf. Sie lachte ihn aus und zeigte ihm, wie es besser ging. Wenn sie sich trennten, behielt er die Zeichnungen. Er war kein Spanier, aber er sah nicht aus wie ein Däne. Rosalia freute sich auf die nächste Begegnung. Sie dachte: Du kennst dich aus mit Männern, das ist das spanische Blut in dir.
15
Die Prinzessin brauchte zehn Minuten, dann wusste sie, wer der führende Kopf auf der Werft war. Er hieß Querner . Er hatte auch einen Vornamen, aber jeder rief ihn Querner . Deshalb tat es die Prinzessin auch, weil sie es liebte, sich nicht zu unterscheiden. Sie suchte ihn in seinem Bureau auf, Anna Rosländer stellte die beiden vor. Querner wusste, was sich gehört, aber die Prinzessin war dafür bekannt, dass man in ihrer Gegenwart nicht lange erstarrte.
Sie wollte alles über die Adler von Lübeck wissen, und er wusste alles über sie. Er wusste auch, dass der letzte Krieg, den die Lübecker gegen die Schweden geführt hatten, keine vier Jahrzehnte zurücklag. Um die frechen Burschen aus dem Norden in Grund und Boden zu schießen, bauten die Lübecker ein Schiff, wie es die Welt noch nicht gesehen hatte. 78 Meter lang, vier Masten, sieben Mastkörbe, 62 Meter hoch, ein Gewicht von 2.000 Tonnen, 350 Mann Besatzung, 650 Soldaten und 150 Artillerierohre auf drei Geschützdecks. Die Adler von Lübeck war das Führungsschiff im Nordischen Krieg. Aber als sie fertig war, war der Krieg so weit gediehen, dass sie nicht mehr auslaufen musste. Im Jahr 1570 gingen erneut Arbeiter an Bord, sie bauten alles ab, was gegen feindliche Nationen gerichtet war und widmeten die Adler zu einem Frachtsegler um. Die Bewaffnung blieb, jedes große Schiff verfügte über Geschütze, um die Freibeuter wegzuschießen und den Zielhafen mit vollständiger Ladung zu erreichen. Ein Jahrzehnt befuhr die Adler die wichtige Route des Salzhandels zwischen Iberischer Halbinsel und Ostsee. Dann
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