Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
würde Valentin Querner seine Aufträge frei wählen können. Man würde sich um ihn reißen, er würde Lübeck verlassen und seine Kunst in die Häfen der Welt tragen. Er sehnte sich nach Amsterdam und London, er dachte auch ans Mittelmeer, wo es warm war und Früchte wuchsen, die er gern auf seinen eigenen Frachtern verschifft hätte.
Valentin Querner sah die Dinge langfristig. Jemand, dessen Zukunft untrennbar mit dem Meer verbunden war, wollte nicht das Risiko eingehen, als mecklenburgischer Mistbauer zu enden. Adlige waren keine Seefahrer. Die Familie der Prinzessin stapfte lieber über fruchtbaren Acker. So viel Stillstand hätte Querner umgebracht. Natürlich hatte er auch Angst davor, einen Skandal hervorzurufen und von einem erzürnten Blaublütigen, der die Prinzessin als sichere Beute betrachtet hatte, zum Duell herausgefordert zu werden. Nicht jetzt, jetzt nicht und später am besten auch nicht.
Wie sie ihn anblickte! Sie war so niedlich und reizvoll. Sie war so viele verschiedene Frauen in einem Körper. Ein Teil von ihr war noch ein Kind, ein anderer Teil gerade erwachsen geworden. Kein Wunder, dass ein alter Lustmolch wie Kropf beim Anblick solcher Schönheiten zu sabbern begann.
Querner rettete sich in die Segel und setzte sein Privatissimum fort. Volltakelung mit drei Rahsegeln vorne, Lateinersegel hinten. Um sie zu prüfen, schweifte er zu den Geschützen ab, die Aufmerksamkeit der Prinzessin ließ dramatisch nach.
Endlich fiel bei ihm der Groschen.
»Ihr wollt die Segel bemalen«, stieß er hervor. »Ihr habt nur Kunst im Sinn.«
»Warum sagt Ihr das so vorwurfsvoll? Seid Ihr nicht genauso ein Träumer, wie ich eine Träumerin bin?«
Aber er hatte es nicht als Vorwurf gemeint, die harschen Worte waren seiner Überraschung geschuldet.
»Ein Träumer bin ich nicht«, sagte er. »Ein Träumer träumt von Schiffen und Reisen und malt sie sich aus. Ich baue sie.«
»Ihr habt selbst gesagt, dass Ihr von diesem Schiff geträumt habt. Am Anfang ist immer der Traum. Ich träume, ich träume erneut, ich erkenne, dass der Traum wichtig ist. Dann erst, keine Minute früher, beginne ich zu überlegen, wie ich den Traum herüberziehen kann. Über die Grenze, wo die Wirklichkeit wohnt.«
Wie sie es sagte, klang es einfach. Vielleicht war es für sie einfach. Sie lebte in Verhältnissen, die ihr ermöglichten, mit Geld und Arbeitskräften zu bauen, zu pflügen, zu fischen, zu drucken. Der Adel war zu beneiden. Erstaunlich, wie wenig Sinnvolles die Adligen zustande brachten. Die meisten waren faul, und ihre Eltern waren auch schon faul gewesen. Die wenigen, die Großes zustande brachten, hätten dies auch getan, wenn sie von Kaufleuten oder Handwerkern abstammen würden. Querner mochte den Adel nicht, er behielt das für sich. In Lübeck geriet man selten in Situationen, wo man sich als Anhänger oder Feind des Adels bekennen musste. Querner schätzte den Wert des Geldes, er verachtete aber auch die Armut nicht. Reichtum eröffnete Möglichkeiten, er konnte auch träge und einfallslos machen. Wer arm war, litt im schlimmsten Fall Hunger, aber er war gezwungen, sich Gedanken über Essen und Trinken zu machen. So war es dem Zeichner gegangen, als er mit sieben Geschwistern in drei Zimmern aufgewachsen war. Die Wendigkeit, mit der sich Querner als kleiner Junge seinen Lebensraum und ein Stück Brot erkämpft hatte, kam jetzt dem erwachsenen Mann zugute. Fix sein, Wege und Lösungen finden – das alles konnte Querner auch, weil er arm gewesen war.
»Es ist klug, was Ihr über das Träumen meint«, sagte Querner . »Für uns ist das Träumen der Schritt, bevor es ernst wird. Im Traum ist alles erlaubt, im Traum kann ich fliegen und herrschen und Menschen zerreißen. Aber ich muss aufhören mit dem Träumen, weil ich allein mit Träumen verhungern würde. Bei Euch ist das anders, für Euer Überleben ist gesorgt.«
»Ihr wollt damit sagen, Menschen wie Ihr sorgen dafür, dass wir überleben.«
Er ignorierte ihren Einwurf und fuhr fort: »Ich gehöre nicht zum Bauernstand oder zu den Bürgern. Ich gehöre zu den Menschen, die Maschinen bauen. Bei uns treffen sich Menschen aus den verschiedensten Ecken. Einer kommt aus dem Wald, einer wohnt neben dem Schloss im Kutscherhaus. Jetzt bauen wir das Schiff. Nicht unsere Herkunft vereint uns, sondern unsere Gegenwart. Das Schiff ist unsere Zukunft.«
»Ihr seid jetzt schon stolz, nicht wahr?«
»Dass mich die Herrin dafür ausgesucht hat, das Unternehmen ins Werk
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