Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
schlug sie leck und wurde vergessen.
Gut 20 Jahre war das erst her. Manche Familienfehde überdauerte längere Zeiträume, aber die Schifffahrt war schnelllebig und die Adler auch deshalb vergessen, weil sie keine Nachfolgerin gefunden hatte. Kein Kaufmann dachte in so großen Zahlen, keine Werft schulterte so hohes Risiko. Die Finanzierung war bei jedem Schiff wichtig, im Fall einer neuen Adler wäre sie das A und O gewesen.
Rosländer wusste schon, warum er sich seinerzeit die Provokation verkniffen hatte. Querner stellte deshalb auch nicht die Ladekapazitäten in den Vordergrund.
»Es ist ein Spiel«, sagte er bescheiden, »ein geistreiches Spiel. Was ist möglich? Wie könnte es aussehen? Was ist von baulicher Seite zu beachten? Denn was du für die größten Schiffe denkst, kommt später den Kleinen zugute.«
Die Prinzessin saß in seinem Bureau, aber meistens war sie unterwegs, ging hin und her, fand da etwas, fand dort etwas, ließ sich ablenken, um immer wieder aufs Thema zurückzukommen. Für einen wie Querner war sie eine rechte Last. Er liebte es, einen Punkt ins Auge zu nehmen und das Auge wochenlang auf ihm ruhen zu lassen. Undenkbar für die Prinzessin. Sie las viel – in drei Sprachen – und wusste viel, aber sie las keine zwei Bücher hintereinander über das gleiche Thema. Sie war heute hier und morgen dort, verfügte über zwei Kutschen, denn eine einzige war für ihre Sprunghaftigkeit zu wenig. Der erste Kutscher hatte händeringend darum gebeten, von seinen Pflichten entbunden zu werden, es sei zu viel für ihn, ständig unterwegs zu sein. Seine letzten beiden Kinder hätten keinerlei Ähnlichkeit mit ihm. »Darüber können die kleinen Kerle froh sein«, hatte die Prinzessin munter gerufen und es sich mit dem redlichen Mann endgültig verscherzt.
Adam Kropf, mittelmäßiger Maler nach der Natur und größter Nassauer der Stadt, hatte ein halbes Jahr gebraucht, um dem hohen Tempo der Prinzessin folgen zu können. Mittlerweile hatte er seinen Frieden mit ihren Launen gemacht und sogar akzeptiert, dass sie sich seinen Schmeicheleien wohl bis zum Ende aller Tage verweigern würde. Damit blieb es bei der Zahl von zwei blaublütigen Schönen, die dem Künstler gestattet hatten, ihnen so nahe zu kommen, dass er sich wie ein König gefühlt hatte. Die eine war hässlich gewesen, entstellt von einem Furunkel am Hals, der – obwohl er regelmäßig aufgestochen wurde – sich in Windeseile wieder füllte; die andere so betrunken, dass sie mehr ohnmächtig als bei Laune gewesen war, als der Maler zugegriffen hatte.
»Warum seid Ihr so sehr auf die Segel erpicht?«, fragte Querner .
»Oh, war mein Interesse so offensichtlich?«
»Bis zur 20. Frage nicht. Danach sehr wohl.«
Er durfte sich solche kleinen Freiheiten herausnehmen. Die Prinzessin, wiewohl einem der führenden Häuser des Nordostens entstammend, gab sich bei jedem Bürgerlichen bürgerlich, der ihr half, klüger zu werden. Zumal Querner nichts von der nervtötenden Art des Kropf besaß. Er war jung, sah gut aus, und wenn man ihn zum zweiten Mal anblickte, sah er noch besser aus. Man durfte nicht zu oft hingucken, zumal die Prinzessin dann nicht länger um die Erkenntnis herum kam, dass von diesem Mann nichts zu erwarten war. Querner kannte seine Grenzen und würde nicht bereit sein, sie zu überschreiten. Zwar befand man sich auf lübischem Boden, hier hatte selbst ein Fürst manierlich aufzutreten, wollte er sich nicht den geballten Bürgerzorn zuziehen. Die jahrelange Befummelei , der sich Kropf schuldig gemacht hatte, hätte ihn im Mecklenburgischen viermal den Kopf gekostet. In Lübeck sagte man: »Ach, der Künstler!« Das war auch ein Todesurteil, aber Kropf hatte lange gebraucht, um das zu begreifen.
»Ihr habt etwas vor«, sagte Querner . »Ich sehe das Leuchten in Euren Augen, die im Übrigen sehr reizvoll sind, wenn Ihr mir gestatten wollt, das zu bemerken.«
»Sagt, was Ihr nicht lassen könnt.«
Einen Moment war etwas zwischen ihnen, das bisher nicht vorhanden gewesen war. Die Luft im Raum hatte sich aufgeladen, frech und erwartungsvoll hielt die junge Frau dem forschenden Blick Querners statt. Er dachte: Gib dich mit dem zufrieden, was du hast. Es ist mehr, als du jemals für möglich hieltest.
Wäre nicht seit Wochen das Holz-Skelett auf der Werft gewachsen, hätte er immer noch nicht geglaubt, dass sein Traum in Erfüllung gehen würde. Das Schiff, das ihn unsterblich machen würde! In zwei oder drei Jahren
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