Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
ihm. Mehrfach hatte er Annäherungsversuche unternommen. Aber er war wohl etwas plump vorgegangen, denn sie hatte jedes Mal aufgeschrien , beide Hände vor die Augen geschlagen und gerufen: »Sofort bedeckst du dich! Besonders unten herum.«
Hippolyt Vierhaus wusste nicht mehr, was er noch unternehmen konnte. Mit Geschenken war sie nicht zu bestechen. Sie besaß schon alles, wonach sie sich gesehnt hatte. Ein Freund hatte ihm geraten, in ihr Eifersucht zu erzeugen, er selbst hatte damit angeblich gute Erfahrungen gemacht. Wochenlang hatte sich Vierhaus nach einer Frau umgesehen, mit der er seine Gemahlin eifersüchtig machen konnte. Lübeck wimmelte von Frauen, einige waren sogar schön. Doch die schönsten wurden vom Fleck weg geheiratet, und die, die von dieser anderen, fast tierischen Schönheit waren, konnte er unmöglich seiner Frau zeigen. Sie hätte ihn getötet und wäre dafür freigesprochen worden.
Nie im Leben war Hippolyt Vierhaus so einsam gewesen, nie im Leben hatte er soviel getrunken. Wenn er einen Kollegen überreden konnte, mit ihm den Abend zu verbringen, zog es Vierhaus in die Fluchbüchse. Bloß nicht ins Hafenviertel! Dort lockten zu viele Versuchungen. Sie hätten ihn verschlungen und nicht wieder freigegeben. In der Fluchbüchse ging es gesittet zu. Schauspielerinnen verkehrten dort, die meisten von ihnen lebten in sündhaften Verhältnissen. Jeder Mann von einigem Wohlstand musste damit rechnen, von ihnen verführt zu werden. Und ein zweites Mal. Und immer wieder. Wie sehr sehnte sich Vierhaus nach menschlicher Zuwendung. Doch alles, was er bekam, war der Wirt, Joseph, Mann der Hebamme, der Vierhaus auf den Kopf zusagte, dass er Probleme hatte. Der leugnete gar nicht erst, weil er neugierig war, was der andere ihm vorzuschlagen hatte. Dieser Deichmann war ein Teufelskerl. Einst ein Apotheker, mit einer Hebamme zusammenlebend, Gastwirt und mit allen bekannt, die Probleme hatten und sich von ihm ein Mittel gegen ihre Probleme versprachen.
Zum Glück war Deichmann über die Ehekrise seines Gasts informiert. So blieb dem die Peinlichkeit erspart, seine Lage in Worte zu fassen.
»Niemand liebt Euch«, sagte Deichmann, während neben ihnen fröhliche Menschen die Becher hoben, Scherzworte grölten und lachten, als seien sie auf der Welt, um sich zu amüsieren und nicht, um zu leiden.
»Ihr braucht einen neuen Blick auf die Welt«, behauptete der Wirt. Deichmann riet ihm, nicht zu Hause zu sitzen, sondern auf die Straße zu gehen.
»Aber da warten sie doch nur auf mich!«, rief Vierhaus. »In den Hafen kann ich nicht. Durch die Straßen will ich nicht. Sie werden mich entdecken und mich einladen, weil ich ihnen leidtue . Ich will ihr Mitleid nicht.«
»Was wollt Ihr denn dann?«
Einen Moment erwog Vierhaus, ihm die Wahrheit zu gestehen. Dass er eine Frau brauchte, die ihm ein Zuhause bot, die ihm Liebe und ihren nackten Leib bot, die ihm nicht widersprach, weil sie zu schätzen wusste, dass er viel arbeitete.
»Also doch der Hafen«, erwiderte Deichmann nüchtern.
»Nicht solche Frauen!«, sagte Vierhaus verzweifelt.
»Es gibt Jungfrauen, die wollt Ihr nach Lage der Dinge nicht.«
»Wieso eigentlich nicht?«
»Weil Ihr dem Vater der Ex-Jungfrau nicht gestehen wollt, dass Ihr bereits verheiratet seid. Wenn Ihr Pech habt, kennt er Männer, die körperlich arbeiten. Die könnten vor Eurer Tür stehen, und wenn sie weggehen, werdet Ihr hinter der Tür liegen und nicht stehen.«
»Nicht schlagen«, hauchte Vierhaus. »Das vertrage ich nicht. Ich habe eine empfindliche Haut.«
»Es gibt Ehefrauen, aber die habt Ihr ja, und sie will Euch nicht. Es gibt Ehefrauen anderer Männer, die wollt Ihr auch nicht, glaubt mir, obwohl Ihr manchmal vor dem Einschlafen von ihnen träumt. Vielleicht sogar von einer, die Ihr kennt. Aber Euch fehlt das Talent zur Schauspielerei. Ihr müsstet verwegen sein, mutig, frech …«
»Was denn noch?«
»Es gibt fromme Frauen. Die können sehr reizvoll sein.«
»Wären sie bereit …?«
»Wozu?«
»Dazu.«
»Nein!«
»Oh.«
»Es gibt ältere Frauen.«
»Wie alt?«
»Älter als Ihr.«
»Mein Gott, nein. Was für ein Gedanke!«
»Ihr seid noch nicht verzweifelt genug, glaubt mir.«
»Was habt Ihr noch anzubieten?«
Deichmann ließ den Blick über die Tische schweifen. Vierhaus folgte seinem Blick.
Deichmann sagte gedehnt: »Man sagt, dass man jedes Geschlecht lieben kann.«
»Ihr meint Männer!? Mein Gott! Und das alles nur wegen dieses dummen
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