Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
sie aufschrieb: kleine Begebenheiten aus dem Alltag, oft spielten sie in den Häusern der Schwangeren. Katharina besaß ein gutes Gedächtnis, sie erinnerte sich leicht und lange an Gesichter und Namen, es war ein Spaß, alle Menschen, denen sie begegnet war, aufzulisten. Unabhängig davon, ob sie mit ihnen gesprochen hatte oder nicht. Mit den meisten sprach sie nicht. Wenn sie das Haus einer Schwangeren betrat, kannte sie in der Regel nur die Frau und eine Bedienstete. Schon den Mann kannte sie nicht in jedem Fall, denn viele Männer hielten Abstand von Hebammen. Sie wussten mit ihnen nichts anzufangen. Die wenigen, die Katharina begrüßten und in ein Gespräch verwickelten, gaben sich leutselig. Man merkte ihnen an, dass sie sich benahmen, als würden sie mit einem Arbeiter aus dem Hafen sprechen. Wer im Hafen zu tun hatte, kam mit Überheblichkeit nicht weit. Im Hafen und unter den Menschen aus dem Hafen einen schlechten Ruf zu haben, war für das Geschäft nicht förderlich. Den einen oder anderen gab es, der es darauf anlegte, Arbeiter zu verprellen. Sogar mit Kapitänen suchten diese Kaufleute die Auseinandersetzung. Hätten sie gewusst, wie man hinter ihrem Rücken über sie sprach …
Auch an diesem Nachmittag saß Katharina an ihrem Tisch in der Küche. Ihr Beruf brachte es mit sich, dass von festen Arbeitszeiten nicht die Rede sein konnte. Katharina wurde gerufen, wenn die Natur es erforderte. Das konnte zu jeder Stunde des Tages der Fall sein, buchstäblich zu jeder Stunde. Oft brachte sie die Nachtstunden an fremden Betten zu.
Neben ihr stand der angeschlagene Becher, aus dem es nach Holunder duftete. Er befand sich so lange im Haushalt, wie Katharina sich erinnern konnte. Schön war er nicht, man musste auch aufpassen, dass man ihn beim Trinken schräg hielt und so die angeschlagene Stelle vermied. Anderenfalls drohte eine blutige Lippe.
Vier Tage war Katharina nicht zum Schreiben gekommen. Heute war nicht nur deshalb ein Festtag. Genüsslich roch sie am Fläschchen. Echte Tinte! Ein Geschenk von Distelkamp, dem klugen Theologen! Natürlich war Katharina nicht bei ihm gewesen, weil es um eine Schwangerschaft gegangen war. Er hatte keine Frau. Durfte er überhaupt eine haben? Katharina wusste das nicht. Aber lange würde es keine bei dem alten Rechthaber aushalten. Im Nachbarhaus war sie gewesen, bei den Whitfields, Einwanderern aus London oder einer anderen englischen Stadt. Vor acht Jahren waren sie nach Lübeck gekommen, seitdem wurde sie pausenlos schwanger. Sogar Trine Deichmann hatte darüber Scherze gemacht, und nicht besonders zurückhaltende. »Entweder liegt es an der Luft oder an der Lust.«
Sie war im siebten Monat, alles verlief glücklich. Der Theologe war zufällig im Haus gewesen. Erst dachte Katharina, er habe einen Kuchen vorbeigebracht. Aber es verhielt sich umgekehrt. Frau Whitfield hatte ihr gestanden, dass er regelmäßig vorbeikam, um Süßes zu schnorren. Sie war eine Mütterliche, die nicht Nein sagen konnte. Katharina hatte die Tintenflecken an seiner Hand bemerkt. Natürlich hätte sie kein Wort darüber verloren. Erst einmal, weil sich das nicht gehörte; außerdem wusste sie, dass Distelkamp kein Freund der Hebammen war.
Umso erstaunter war sie gewesen, als er sie beim Verlassen des Hauses abpasste. Er musste auf sie gewartet haben, druckste herum, zog das Fläschchen hervor und drückte es ihr in die Hand. »Wenn Ihr Bedarf habt, Ihr wisst, wo ich wohne«, sagte er.
Katharina hatte ihn neugierig angestarrt. Zurückhaltung war ihre Art nicht. Manche Männer mochten das, manche gerieten in Pein. Distelkamp schien gerührt und gehemmt, beides gleichzeitig.
Erst zu Hause hatte sie angefangen, sich zu freuen. Zwei Tage später hatte sie vor seiner Tür gestanden. Eine Haushälterin hatte geöffnet, ein garstiges Weib voller Warzen, Gerstenkörner und Bartwuchs. Katharina hatte ihr Grüße an den Theologen aufgetragen, hinterher hatte sie sich gefragt, warum er sich mit diesem Dragoner umgab. Bestimmt konnte sie gut kochen. Aber er hatte Kuchen geschnorrt!
Distelkamp kam auf ihr Papier, die Whitfields natürlich auch. Er war Tischler. Katharina fiel ein, dass Rosländer die Familie seinerzeit von einer Reise mitgebracht hatte, mit Sack und Pack. So einer war Rosländer gewesen: schnell entschlossen. Ein Nein akzeptierte er nicht. Wen er mochte, der hatte es gut und konnte in der Firma alt werden. Wen er nicht mochte, den schrie er an, den warf er hinaus – um ihn
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