Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
die Geschäfte wie geschmiert. Manchmal sehnte sich Distelkamp nach einer aufstrebenden Gemeinde, einer ohne Vergangenheit, ohne Reichtum, ohne Selbstbewusstsein.
Der Fall des toten Rosländer war seinerzeit genauestens untersucht worden, volle zwei Tage lang. Dabei war festgestellt worden, dass sich Rosländer in den letzten 48 Stunden seines Lebens zweimal geprügelt und mit nicht weniger als acht Personen Drohungen ausgetauscht hatte – lautstark und vor Zeugen. Es waren genau die Prügel und die Drohungen, für die er seit Langem bekannt gewesen war. Nichts davon hatte sich als Spur erwiesen, die zu einem wütenden Mann führte. Man wusste auch nicht, was Rosländer auf das Eis getrieben hatte, wo man seinen Leichnam gefunden hatte. Es gab Wunden, die auch vom Sturm herrühren konnten, jedenfalls hatten sie einen Stier wie Rosländer nicht getötet.
»Es hat sich alles verlaufen«, berichtete Distelkamp.
Wie viel lieber hätte er einen Schuldigen gefunden. Oder einen Verdächtigen! Am besten: zwei Verdächtige, die er aufeinander loslassen konnte. Distelkamp liebte Duelle, die Konfrontation zweier Kreaturen. Oder Weltanschauungen.
Anna war nicht zufrieden gestellt. »Wer genau war an der Untersuchung beteiligt?«
»Außer Poulsen , meint Ihr?«
»Wer ist Poulsen ?«
» Poulsen , der Däne. Er ist bei Gericht dafür zuständig, Beweise zu besorgen. Bevor die Fälle vor Gericht kommen. Was Poulsen findet, wird in der Verhandlung den Angeklagten vorgehalten.«
Anna hatte von diesem Mann gehört. Er stammte wirklich aus Dänemark und besaß offenbar die Fähigkeit, sich in Fälle zu verbeißen. Sie dachte: wie Trine Deichmann als Mann.
Poulsen hatte nichts gefunden. Dabei hatte er mit zehn Landstreichern zwei Tage das Eis um die Fundstelle des Leichnams abgesucht. Eine Tat, für die Distelkamp nachsichtiges Lächeln aufbrachte. Anna Rosländer dagegen mochte den Dänen.
18
Fünf Hebammen in städtischen Diensten standen den schwangeren Frauen Lübecks bei, die jüngste von ihnen war Katharina Tüschen . Streng genommen war sie für eine Hebamme mit gerade 20 Jahren zu jung, mehr als einmal hatte man sie aus dem Haus gewiesen. Angeblich fehlte das für eine Zusammenarbeit notwendige Vertrauensverhältnis. Dann sprach Trine Deichmann mit den Bürgern und sang das Loblied der Katharina Tüschen . »Wie soll sie Erfahrung gewinnen wenn nicht durch Praxis?«
Oft reichte diese Frage schon, manchmal erhielt sie die Antwort: »Sie soll üben, wo sie will. Wenn sie älter ist, werden wir sie gerne nehmen.«
Nun packte Trine die Trickkiste aus. »Eine Hebamme lernt auf zweierlei Weise. Einmal lernt sie von erfahrenen Hebammen, dafür stehe ich. Aber sie lernt auch von den Schwangeren und nicht nur von den Frauen. Sie lernt von den Häusern und der Atmosphäre in den Häusern. Diesen Teil kann ich ihr nicht vermitteln. Dazu ist sie auf herzensgute und kluge Menschen angewiesen. Versteht Ihr, was ich sagen will? Es ist ein Geben und Nehmen. Katharina gibt, aber sie soll auch etwas nehmen: die Freundlichkeit, die sie von Eurer Seite empfangen hat. Damit meine ich nicht lachen und scherzen und Kekse essen. Ich meine das ganze Paket. Ihr dürft gerne schimpfen und verzagen und jammern. Aber Katharina muss die Möglichkeit haben, das zu erfahren. Sie braucht die Situation. Denkt Euch den Besuch als Theaterspiel. Die Hebamme braucht Mitspieler, niemand wird eine gute Schauspielerin, wenn sie allein auf der Bühne steht.«
Im Lauf der beiden Jahre, in denen Katharina mit Trine zusammenarbeitete, hatte ein Paar am Ende trotz Trines Plädoyer abgelehnt. Alle anderen hatten nachträglich ihre Zustimmung erteilt, darunter harte Knochen, bei denen Trine insgeheim schwarzgesehen hatte.
Katharina Tüschen war die schönste Hebamme, die mit dem meisten Temperament war sie obendrein. Alles, was sie tat und unternahm, geschah etwas geräuschvoller als bei ihren Kolleginnen. Hektik und Unruhe kamen trotzdem nicht auf, denn das Verhalten passte zu Katharinas Art und wurde aufgefangen von ihrer Zuverlässigkeit und mitreißenden Art.
Ihr Auftreten hatte ab und zu eine Folge, die wohl unvermeidbar war. Immer wieder fand sich ein Mann, der Katharinas Verhalten als Einladung ansah, sich ihr auf eine Weise zu nähern, die die Nähe der Hebamme zur Schwangeren und ihren Angehörigen überschritt. Zweimal hatten sich unschöne Szenen ereignet, weil Katharina nur mit Ohrfeigen den geziemenden Abstand herzustellen vermochte. Zu einem
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