Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
die Hure, konnte den Fragenstellern nicht weiterhelfen. »Er hatte Hunger auf Liebe und auf mich«, verriet sie eitel und erkundigte sich danach, wie stark ihre Gesundheit gefährdet sei. Weil ihr die Antwort nicht ausreichte, fragte sie andere. Die antworteten in üppiger Ausschmückung. Danach hielt sich Verena für eine Todeskandidatin. Sie besuchte ihre Eltern auf dem Friedhof und gönnte sich ein Essen, das sie »meine Henkersmahlzeit« nannte. Danach packte sie ihre Siebensachen, verschenkte das meiste an andere Huren und stand wenig später vor dem Tor der Werft. Dort bot sie dem verdutzten Querner den Himmel auf Erden an, als der dankend ablehnte, verschwand sie mit Lundberg in einem stillen Eckchen, in dem es kurz darauf laut wurde.
Die alte Schlüter störte das Liebespaar mit den Worten: »So kann ich nicht arbeiten.«
Eine Brosche stellte sie ruhig.
»Wo hat sie ihre Henkersmahlzeit gegessen?«, fragte Trine Deichmann. Das war nicht bekannt. Trine vertiefte das Thema nicht weiter, aber sie hatte kein gutes Gefühl. Ihr war klar, dass die Pest die gesamte Stadt in Mitleidenschaft ziehen würde. Wenn Menschen, die krank oder angesteckt, in namentlich bekannten Häusern aufgetaucht waren, würden die Bewohner oder Besitzer dieser Häuser Probleme bekommen. Momentan hatte nur der Reeder Schnabel die Nerven verloren, einen wie Schnabel konnte man bändigen. Wenn sich 100 oder 200 Menschen auf den Weg machten, wäre Widerstand zwecklos. Trine Deichmann hatte ihr Leben in Lübeck verbracht, sie war Zeugin gewesen, wie der Mob mit Hacken und Knüppeln losgezogen war. Auf Fackeln verzichtete man in der Stadt, ein brennendes Haus konnte der Auftakt zu einer Kettenreaktion werden, gegen die die Pest ein Kinderspiel war.
Abends waren Verena und Lundberg betrunken, die Hure hatte zwei Flaschen eingeschleppt. Singend zogen beide über das Gelände. Sie hatten sich untergehakt, weil sie nicht mehr stehen konnten. Später fielen sie gemeinsam in die Holzwolle.
28
Ein Schatten tauchte über dem Tisch auf.
»Du malst ja«, knurrte die alte Schlüter.
»Ich male nicht, ich zeichne«, korrigierte Querner .
»Warum nimmst du keine Farbe wie ein anständiger Maler? Ohne Farbe ist es kein Bild.«
Seufzend arbeitete er weiter. Er wusste, wann es Sinn hatte zu reden und wann nicht.
Die alte Schlüter ließ nicht locker: »So sieht doch kein Schiff aus.«
Schweigen.
»Ich denke, du bist der Liebling von der Witwe. Warum kannst du dann nicht besser malen?«
»Ihr könnt einem wirklich auf die Nerven gehen. Kümmert Euch um die Kranken.«
»Die schlafen, er hat die Hose offen und sie die Bluse. Das sind Tiere. Sollen sie sterben, ist nicht schade drum.«
»Mich könnt Ihr nicht täuschen. Ich weiß, dass Ihr so redet und anders handelt.«
Sie betrachtete die Zeichnungen, die an die Wände geheftet waren. Querner beobachtete sie, vorsichtig fuhr sie mit den Fingern über die Blätter. Die alte Schlüter war keine 50, ihre Haare waren schon weiß geworden, als sie die 30 noch nicht erreicht hatte. Angeblich war sie im Wald Wölfen begegnet, aber Querner traute den Schauergeschichten der Einheimischen nicht. Jedenfalls hatte sie früh ihren Mann verloren, durch eine Krankheit, die keinen Namen besaß. Danach hatte sie begonnen, sich um Kranke zu kümmern. Etwas musste an ihr sein, denn die Krankenhäuser rissen sich um sie. Wenn es sein musste, arbeitete sie 30 Stunden ohne Pause. Man musste ihr nichts erklären, weil sie alles kannte und nie einen Fehler beging. Sie redete kaum, das hielten einige für ihren größten Vorzug. Vor allem wurde die alte Schlüter nie krank. Sie hatte sich allen Heimsuchungen ausgesetzt, die in einem Krankenhaus möglich sind, und sich kein einziges Mal angesteckt. Wenn sie sich ins Bett legte, handelte es sich um eine Erkältung, und einmal hatten ihre Bronchien gerasselt wie die Kette am Brunnen.
Sie näherte sich den Kranken ohne Scheu. Wo andere den Schutz der Vogelmaske suchten und Patienten nur mit dem langen Stock berührten, wenn überhaupt, legte ihnen die alte Schlüter ohne Umstände die Hand auf die Stirn, schaute ihnen in den Mund und kümmerte sich um das, was die Kranken schissen und pissten. Es hatte Ärzte gegeben, die den Raum verlassen hatten, als sie die Pflegerin hantieren sahen.
Die alte Schlüter war für zahllose Menschen die letzte Verbindung zum Leben gewesen. Stadtarzt Ebel hatte ihr Geld aus eigener Tasche zugesteckt und später Geld von der Stadt locker
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