Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
knurrte sie, »das ist keine große Sache.«
Trine sagte: »Manchmal frage ich mich, wie der gute Jütte es an Eurer Seite aushält. Er ist doch ein empfindsamer Mann.«
»Nicht so sehr wie zu Beginn«, trumpfte Sybille auf. »Zu Beginn war es nicht auszuhalten mit dem Kerl. Ständig eingeschnappt. Ich musste viel an ihm arbeiten.«
»Und jetzt?«
»Jetzt ist es besser. Aber gut ist es noch lange nicht.«
Trine hatte den guten Geist des Salzhauses Schelling vor einiger Zeit auf der Straße getroffen. Man erkannte auf den ersten Blick die ordnende Hand einer Frau. Wo ein Knopf sein musste, war einer angenäht worden, das Leder der Schuhe erhielt Fett und Pflege, der ganze Mann wirkte sauberer und aufgeräumter als in der Zeit nach der Trennung von seiner Frau. Damals war Jütte auf dem absteigenden Ast gewesen.
»Es ist nicht immer leicht mit ihr«, hatte er Trine erzählt, »aber ein Segen ist es jeden Tag. Sie sagt, sie quält niemanden so gern wie mich. Aber ich weiß, sie hat mich gern, auch wenn man genau hingucken muss, um das zu erkennen.«
»Sie tut Euch gut«, hatte Trine gesagt, er hatte genickt und gelächelt. Er war jünger geworden, seitdem er mit Sybille Pieper ein Paar bildete – sicher eins der bizarrsten in der Stadt. Aber besser hätte Jütte es nicht treffen können, denn er brauchte keine Frau, die seine festgefahrenen Rituale bestätigte. Er brauchte eine wie Sybille, die Gift und Galle spuckte, wenn ihr etwas gegen den Strich ging, die ihn behexte und verzauberte, die seine alten Wehwehchen linderte, ihm einige neue verschaffte und ihn mit warmen Mahlzeiten bekochte, die er seit Jahren nicht mehr kannte.
Vor einer guten Stunde war der Reeder Hals über Kopf aus dem Rosländer-Haus gestürzt, um zu verhindern, dass der Pestkranke in sein eigenes Haus geschafft wurde. Bürgermeister Goldinger war mit zwei Sätzen abgefertigt worden. Zum Abschied hatte er versucht, sich Liebkind zu machen, indem er versuchte, ein bisschen zu einer Fraktion und ein bisschen zur anderen Fraktion zu gehören. Anna Rosländer hatte ihre Abneigung gegen den windelweichen Kerl im Zaum gehalten und es sich mit ihm nicht verdorben.
Die Frauen zogen eine Bilanz von Schnabels Auftritt. Seine Angst war echt gewesen, er fürchtete sich vor dem Pestkranken, vor Ansteckung und Ausbreitung der Krankheit. Umso verwerflicher war es, dass er die Krankheit benutzen wollte, um Annas Schiffbau zu stoppen.
Um den Namen des Schweden in Erfahrung zu bringen, hatte sich niemand in Gefahr begeben müssen. Zwei Werftarbeiter hatten sich per Ruderboot von der Wasserseite dem Gelände genähert, Querner hatte ihnen alles zugerufen, was sie wissen mussten. Wichtiger als der Name war eine Nachricht der alten Schlüter. Sie war nicht sicher, ob es sich um Pest handelte. Eine Krankheit sei es gewiss, aber eindeutig sei nichts.
Seit zwei Tagen waren Abgesandte im Hafenviertel unterwegs und ermittelten die letzten Wege von Lundberg . Tatsächlich hatte er vor einer Woche Lübeck erreicht, zwei zurückgelassene Besatzungsmitglieder waren in ihrem Versteck entdeckt und untersucht worden. Sie wirkten gesund, doch es war bekannt, dass zwischen Ansteckung und Ausbruch der Pest über zehn Tage liegen konnten. Weil niemand wusste, was die Krankheit hervorrief, fürchteten sich alle vor der Luft und direktem Kontakt. Denn der gesunde Menschenverstand wusste, dass es gefährlich war, Gegenstände zu berühren, die der Pestkranke berührt hatte. Und er wusste, dass die Luft der Weg war, der die Krankheit von einem Ort zum anderen beförderte.
Lundberg hielt sich zum zehnten oder elften Mal in Lübeck auf. Er hatte seine festen Anlaufstellen. Dies war neben einer nicht mehr jungen Hure namens Verena und dem Bordell, in dem sie lebte, vor allem eine Spelunke, die dafür bekannt war, preiswert zu sein und gepanschten Branntwein auszuschenken, der nicht nur das Bewusstsein, sondern auch das Sehvermögen angriff. Hier köchelte in einem großen Topf von morgens bis abends Kohlsuppe. Wenn Fischer eingelaufen waren, fand sich kurzfristig auch eine Kiste frische Ware ein, die in einer großen Pfanne landete. Man roch den Fisch noch zwei Gassen weiter.
Zwischen diesen Orten spielte sich das Leben von Ties Lundberg ab. Weil er nicht fromm war, besuchte er keine Kirchen. Weil er arm war, ging er nicht in die Viertel, aus denen die Bürger ihre Waren bezogen. Weil er gesund war, ging er nicht auf den Markt, um sich einen Zahn ausreißen zu lassen.
Verena,
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