Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
gegenseitig Streiche spielten.
Die alte Schlüter stellte sich neben Querner . Sie blickte dorthin, wohin er auch blickte. »Du sagst, das Schiff wird nicht gebaut. Aber du malst daran.«
»Ja, und? Ist das ein Widerspruch? Ich lebe dafür. Die Ideen kommen aus mir heraus, ich halte sie fest. Ich muss sie aufschreiben, muss Berechnungen anstellen. Die Arbeit muss gemacht werden. Und es ist nicht irgendeine Arbeit, sondern die, die ich kann und die ich will. Ich kann nicht Fässer auf die Wagen laden, weil das Schiff nicht gebaut wird. Ich muss zeichnen, es arbeitet in mir die ganze Zeit. So geht es schon seit Jahren, wenn ich die Rosländers nicht getroffen hätte, wäre ich geplatzt. Die Ideen müssen irgendwohin, am besten in die Welt. Das Schiff ist möglich, deshalb sollten wir es bauen. Nicht für uns, nicht gegen die anderen. Sondern um zu zeigen, dass es geht. Um in Zukunft bessere Schiffe bauen zu können. Nicht jedes Schiff muss das größte sein. Aber so ein Schiff muss erlaubt sein, es ist eine ehrenvolle Aufgabe, und es ist nicht nur die Witwe, die das Schiff baut. Ich bin der, der denkt und zeichnet und berechnet. Andere schlagen die Bäume, wieder andere bearbeiten das Holz, die Männer der Werft bauen den Rumpf und die Aufbauten, währenddessen arbeiten die Schmiede und die Seilmacher, und die Segelmacher nähen Tag und Nacht, und Lübeck wird stolz sein. Alle werden stolz sein. So ein Schiff baust du nicht gegen jemand. Du baust es für dich und für die Firma und für die Stadt, in der du lebst.
Lübeck gibt mir den Mut, große Gedanken zu denken und ein großes Schiff zu bauen. Wir tun es, sie hassen uns dafür. Sie wollen es gar nicht selbst bauen. Sie wollen nur, dass wir es nicht bauen. Sie wollen nicht groß denken, sie wollen lieber für immer klein bleiben. Vielleicht geht es so mit Städten. Am Anfang sind sie klein, die meisten bleiben klein für immer. Einige wachsen, und von denen gibt es drei oder zwei oder eine, die wird sehr groß und denkt sehr groß und baut sehr groß.
Vor vielen Jahren bauten sie die Pyramiden. Einige waren neidisch, die meisten waren stolz. Heute stehen die Pyramiden immer noch. So lange lebt kein Schiff, aber die Erinnerung an das Schiff kann leben und die Erinnerung kann gut tun, weil sie die Erinnerung an ein großes Unternehmen ist. Nicht gegen irgendwen, sondern für uns. Und die, die mitgebaut haben, können sagen: Ich war dabei und werde es nie vergessen. Aber sie wollen uns nicht, sie wollen uns einfach nicht, und jetzt hilft ihnen die Pest, und sie wird auch mich holen. Das ist die Strafe, weil ich große Gedanken hatte.«
Zorn und Kummer überwältigten Querner , ein Sprung ins Wasser, Kurs auf die offene See und solange schwimmen, wie die Kräfte reichten!
Dann sagte die alte Schlüter: »Du hast recht. Die, die gerne laut reden, auch wenn sie nicht getrunken haben, sind gegen euer großes Schiff. Sie fühlen sich herausgefordert, sie haben Angst, dass sie neben dem großen Schiff ziemlich klein aussehen. In den letzten Tagen habe ich im Siechenhaus gearbeitet, da, wo die Verwirrten leben, die immer umfallen und sich vor Gestalten fürchten, die außer ihnen niemand sieht. Ich war draußen in der Lepra-Kolonie und natürlich war ich da, wo die kranken Landstreicher darauf warten, dass einer nach ihnen sieht, bevor sie sterben. Ich habe kein Wort von dem Schiff gesagt, ich rede nicht gern und habe nicht viel Zeit. Aber die anderen reden gern und viel und sind froh, wenn einer da ist, der ihre Geschichten nicht schon hundertmal gehört hat. Alle wissen über das Schiff Bescheid, alle sind der Meinung, dass sich in den letzten Jahren nichts Aufregenderes bei uns in Lübeck bewegt hat. Sie wollen, dass das Schiff gebaut wird, sie wünschen der Witwe alles Gute. Sie gönnen ihr jeden Taler, den sie für das Schiff ausgibt.
Jeder von meinen Schutzbefohlenen hatte Träume, da war er jünger und mutiger, gesünder vor allem, und die Enttäuschungen und Ungerechtigkeiten hatten ihm noch nicht den Hals gebrochen. Jeder von ihnen wollte ein großes Schiff bauen. Bei den meisten war es natürlich kein Schiff, aber ein Ziel hatten sie, einen Traum, und sie hatten die Kraft, die Sache anzupacken und den Traum in die Welt zu holen. Dann ging vieles schief, dann ging Zeit ins Land, jetzt sind sie krank und schief und schwach und froh über jeden Tag, an dem sie nicht geprügelt werden. Sie werden in diesem Leben nichts mehr bauen, aber sie freuen sich, dass es
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