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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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Bordell.«
    »Was stellt Ihr Euch vor?«
    »Wir warten die Arbeit der Ärzte ab, danach werfen wir den Schweden in die Trave, weil er uns an der Nase herumgeführt hat oder wir verfrachten ihn ins Pockenhaus, das in diesen Stunden von den Halunken gesäubert wird, die sich dort eingenistet haben. Danach stellen wir die Werft unter Quarantäne, für einen Monat oder ein halbes Jahr. Wenn die Witwe unterschreibt, kriegt sie ihr Gelände auch schneller zurück.«
    »Und fängt an, weiter zu bauen.«
    »Wenn sie Krieg haben will, kann sie Krieg haben. Aber mir ist ein Krieg lieber, der den Hafen leben lässt.«
    »Der Hafen! Der Hafen! Habt Ihr eigentlich keine anderen Sorgen?«
    »Nein. Ich bin Reeder und mir gehört auch eine Werft. Welche anderen Sorgen sollte ich denn haben? Dann wäre ich ja ein schlechter Reeder.«
    »Bei uns blickt keiner über seinen Tellerrand hinaus.«
    »Das ist normal. Ihr seid mit dem Schöpfer intim, ich kümmere mich darum, dass wir Geld verdienen. Sollen wir warten, bis einer wie Ihr Geld verdient? Bis dahin wären wir alle verhungert.«
    »Wollt Ihr damit andeuten, dass ich nicht in der Lage wäre, Geld zu verdienen?«
    »Habe ich das nicht eben deutlich gemacht?«
    »Das hört sich nicht freundlich an.«
    »Ich kann nicht gut Freund mit einem sein, der den Hafen gering schätzt.«
    »Der Hafen ist Euer Götze.«
    »Ihr habt Euren Götzen, ich habe meinen.«
    Vertraulich hakte sich der Theologe bei Schnabel ein und führte ihn vom Gotteshaus fort. Ihnen kamen weitere Bürger entgegen, die es zum Totentanzfries zog. Stunden der Not füllten die Kirchen. In dieser Hinsicht unterschied sich die neue Religion nicht von der alten. Verstaubte Frömmigkeit und funkelnde Frömmigkeit wiesen eine Gemeinsamkeit auf, die einen wie Distelkamp naturgemäß ärgerte: Sie schmolzen die Unterschiede zwischen den Religionen ein.
    »Redet schon«, knurrte Schnabel. Er wollte mit dem scharfzüngigen Theologen nicht länger zusammen gesehen werden als notwendig.
    »Im Augenblick sind wir alle in großer Sorge wegen der Pest. Wir hoffen, dass sich der Verlauf in Grenzen halten möge. Aber wir wissen, dass der Tag kommen wird, an dem wir den letzten Pesttoten der Erde übergeben – wenn auch nicht der geweihten Erde, denn diese Massen gehören vor die Tore der Stadt und nicht in Sichtweite einer Kirche.«
    »Hört auf damit! Ihr redet so genüsslich darüber!«
    »Am ersten Tag ohne Pest werden wir vor der gleichen Situation stehen – immer vorausgesetzt, die Pest holt sich nicht gerade diejenige Mitbewohnerin, der wir in diesen Tagen nicht alles Gute wünschen.«
    »Ihr wollt Anna zu den Pestkranken stecken!?«
    »Schnabel, Schnabel, die Angst gibt Euch sonderbare Gedanken ein. Nein, ich gehe davon aus, dass Anna am Leben bleiben wird. Dann ist die Frage dieselbe, vor der wir bis vor wenigen Tagen standen. Wie verhindern wir, dass dieses unselige Schiff gebaut wird?«
    »Euch müsste es doch eigentlich freuen, wenn es gebaut wird. Das gibt Streit und Aufregung. Davon ernährt sich einer wie Ihr.«
    »Ihr denkt daran, dass mein Draht zu den höheren Instanzen etwas kürzer sein dürfte als Eurer? Warum sollte ich mir nicht den Spaß gönnen, eine ungläubige Seele wie Euch schon vor der ewigen Verdammnis zu zwiebeln?«
    »Das könnt Ihr Euch sparen. Das tut schon meine Frau.«
    »Ich wiederhole: Die Pest ist zu Ende, Anna ist kiebig wie eh und je. Was können wir tun, um den Elan der Furie zu stoppen?«
    Was Distelkamp zu sagen hatte, überraschte Schnabel dann nur im ersten Moment. Mit jedem weiteren Satz des Theologen fand der Reeder dessen Gedanken naheliegend , ja nachgerade vernünftig.

30
    Mittags machten sich zwei Männer auf den Weg zur Werft. Einer trug die Vogelmaske, mit der man sich gegen die Pest zu schützen pflegte. Wohlriechende Kräuter im künstlichen Schnabel sollten die krankmachenden Bestandteile der Luft fest- und fernhalten. Auf dem Weg zur Werft stießen weitere Männer zu den beiden. Man plauderte kurz und schritt energisch weiter. Kein Zweifel: Etwas Wichtiges stand bevor. Auf den Straßen blieben die Menschen stehen und riefen dem Trupp aufmunternde Wünsche zu. Einige klatschten Beifall. Ein Mitglied des Trupps sah sich von einer Frau umarmt und auf beide Wangen geküsst. Auf dem weiteren Weg erklärte er wohl zehnmal, dass er die Frau nicht kannte und heute zum ersten Mal gesehen habe. Erst als auch der Langmütigste begriffen hatte, was für ein schlechter Lügner der

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