Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
jemand stellvertretend für sie tun wird. Und als sie hörten, wer alles gegen das Schiff ist, freuten sie sich doppelt, denn da wussten sie, das Schiff ist gut, nur die Gegner sind schlecht. Wenn du das nächste Mal deine Witwe siehst, sag ihr, sie ist nicht allein. Keiner von uns kann ihr mehr geben als einige Pfennige, aber unsere guten Wünsche können wir ihr geben, und weil sie solche Kerle hat wie dich, wird sie es am Ende packen. Sie darf sich nur nicht entmutigen lassen. Denn so läuft es bei uns: Sie schlagen dich nicht, sie töten dich nicht, aber sie entmutigen dich, sie nehmen das Tempo aus dem Rennen, sie wischen die Farbe aus dem Bild, sie brechen die Spitzen ab, damit die Mitte dick und kugelrund wird und keiner den Kopf über den Durchschnitt hebt.
Sag deiner Witwe, Lübeck ist ein starker Gegner, aber sie kann den Kampf gewinnen, denn es gibt ein zweites Lübeck, von dem man wenig hört. Das steht auf ihrer Seite, und nun hör auf, mich so anzustarren, sonst schmeiß ich dich in die Trave. Und vorher gebe ich dir ein Mittel, dass du nicht mehr schwimmen kannst.«
29
Der Tod war sehr fidel und hatte gute Laune. Eine Hand lag auf der Schulter der Bürgerin, die andere auf der Schulter des Gottesmannes. Der schaute noch verdutzt drein, als der Knochenmann schon den Tanz begann. Die knöchernen Kollegen tanzten mit den gut Situierten, den Reichen und Schönen und Einflussreichen den Tanz, der alle gleich machen würde. Tot waren sie schon, aber sie mussten noch lernen, von ihren Symbolen der Prächtigkeit abzulassen. Sie sahen aus wie aus dem Ei gepellt. Schmuck glitzerte, Kleidung schmückte. Aber rechts und links von ihnen tanzten die Totenmänner den Tanz, bei dem sie sich lebendig fühlten. Jahre vergingen, bevor ein neu geborener Mensch lernte, was es hieß, lebendig zu sein. Wie können wir annehmen, dass das Totsein innerhalb eines Augenblicks zu lernen ist?
»Was murmelt Ihr da, Schnabel? Gehört Ihr auch zu denen, die im Angesicht der tanzenden Toten ihr Gleichgewicht verlieren?«
Missmutig und ertappt blickte der Reeder den Theologen Distelkamp an.
»Wie schafft Ihr es, stets da zu sein, wo Ihr einen anderen in Verlegenheit bringen könnt?«
»Das erfordert jahrelange Übung«, entgegnete der Theologe, ohne im Mindesten beeindruckt zu wirken. »Ich kenne doch meine Lübecker. Kaum winkt Freund Hein mit dem Knochen, entdecken sie ihre eingestaubte Frömmigkeit wieder, die ihnen beim Geschäftemachen abhandenzukommen pflegt.«
»Ihr spottet über den Wohlstand, der die Grundlage von allem ist.«
»Nicht von Gott. Gott macht keine Geschäfte.«
»Aber nur, weil er weiß, dass das Handeln bei uns in besten Händen ist.«
»Hat die Witwe eigentlich unterschrieben?«
»Wie? Nein, nein, das hat sie nicht.«
»Vielleicht hätte sie es getan, aber Ihr musstet ja eilig aufbrechen.«
»Bleibt vor Euch eigentlich nichts geheim?«
»Von irgendeinem muss es der Herr ja erfahren. Glaubt Ihr, er hat Zeit, sich um alles selbst zu kümmern? Stellt Ihr Euch Gott in menschlicher Gestalt vor, nur mit tausend Augen und Ohren?«
»Seitdem ich Euch kenne, weiß ich, dass der Herr für manche Überraschung gut ist.«
»Ich nehme das als Kompliment. Und nun verratet mir schon, was Ihr gegen die Pest unternehmen wollt? Das bekannte Programm? Pilgerfahrt, Gründung einer neuen Stiftung, eine fette Spende, ein wenig geißeln, aber nicht zu sehr, weil Ihr kein Blut sehen könnt?«
»Das ist das Programm der Kirche.«
»Ach ja, richtig. Ich hatte gleich das Gefühl, dass mich etwas daran stört.«
»Ihr könnt hochfahrend reden. Ihr habt die Pest überlebt und seid nun immun gegen sie.«
»Wisst Ihr, wie unsere Kirche noch schneller gegen die verkommenen Römischen obsiegt hätte? Wenn Protestanten immun gegen die Pest wären. Das würde uns Zulauf bringen. Zwar aus den falschen Gründen, aber jede Seele, die nicht nach Rom geht, ist eine gute Seele.«
Distelkamp blickte sich gestört um, als mehrere Bürger die Beicht-Kapelle betraten. Schnabel faltete die Hände. Eine Unterhaltung war nicht mehr möglich, weil die Neuankömmlinge sich gestört fühlten.
Zurück im Freien, teilte der Reeder mit, dass der Schwede heute von den besten Ärzten der Stadt untersucht werden würde. Angeblich hatte er sich seine Hure auf die Werft nachkommen lassen und pflegte mit ihr einen unanständigen Lebensstil.
»Das kann so nicht bleiben«, sagte Schnabel. »Die Werft ist als Pesthaus gedacht und nicht als
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