Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
Geküsste war, gab er endlich Ruhe.
Zu acht erreichten sie die Werft. Wie in den ersten Tagen von Anna Rosländers Bauvorhaben hatten sich Passanten eingefunden, nur hielten sie diesmal größeren Abstand. Zwei weitere Männer legten die Vogelmaske an, die Mehrheit verzichtete auf den Schutz, bis auf einen kommentarlos. Der eine musste unbedingt loswerden, dass die Maske ein untauglicher Versuch sei, sich gegen die Pest zu schützen.
Die alte Schlüter erwartete die Besucher am Eingang. Zwei Medici näherten sich ihr umstandslos und ergriffen zur Begrüßung ihre Hand. Die anderen taten so, als hielten sie zeremoniellen Abstand. Aber die alte Schlüter konnte man nicht täuschen.
Querner zerstörte die stillschweigende Allianz. Weil er spürte, dass man seine Nähe mied, regte er sich auf. Als das nichts half, trat er dicht vor den zögerlichsten Besucher, hustete ihn an, legte die Hand auf den Mund und sagte: »Ein Versehen!«
Der frühere Stadtarzt Ebel trat zwischen die Streithähne und mahnte zur Sachlichkeit.
»Sachlichkeit!«, rief ein junger Kollege. »Bei der Pest! Das ist wie Schönheit bei einer Hure.«
»Was habt Ihr gegen schöne Huren?«, konterte ein anderer und zog Verena nach vorn. Ungekämmt wirkte sie auf anziehende Weise bettwarm und erinnerte mehr als einen Besucher daran, wie dünn die Trennlinie zwischen Beruf und Vergnügen war.
Die Untersuchung fand in aller Sachlichkeit statt. Lundberg , der Schwede, zeigte sich kooperativ. Verena zeigte mehr her, als die Medici sehen wollten. Doch da es nun einmal vor ihren Augen war, riskierten sie einen Blick. Schließlich waren sie Experten für den menschlichen Körper, zu dem auch der weibliche Körper gehörte, wenngleich sie gewohnt waren, dass er bei der Untersuchung stets bekleidet blieb. Die Inaugenscheinnahme fand im Schutz des Holzlagers statt, sodass die Gaffer von draußen keine Befriedigung fanden.
Lundberg wurde befragt, zwei Medici sprachen schwedisch mit ihm. Offensichtlich lebte der Kerl, wenn er an Land ging, nur in Bordellen und Kneipen. Auf See war er betrunken, eine sichere Art, gesund zu bleiben, denn im Gegensatz zu Wasser und Lebensmitteln konnte Alkohol nicht schimmeln.
»Ich weiß genau, was sie da drinnen treiben«, murmelte vor dem Tor Hippolyt Vierhaus seinem Begleiter Senftenberg zu. Der zog den Kürschner vom Tor weg. Niemand sollte sich fragen, warum die beiden Männer so wenig Furcht an den Tag legten.
»Das war’s dann wohl«, murmelte Vierhaus, »man hätte damit rechnen müssen.«
»Was Ihr aber nicht getan habt«, bemerkte Senftenberg voller Häme. »Wir haben getan, was wir konnten. Einiges haben wir ja auch erreicht. Der Schwung ist aus dem Schiffbau raus, und wann die Werft wieder offen sein wird, steht dahin.«
»Sie werden sich Fragen stellen, wenn sie herausgefunden haben, dass der Schwede nicht die Pest hat.«
»Einen Tag später wird der nächste Seemann die Pest haben. Wir sorgen dafür, dass sie nicht zur Tagesordnung übergehen können. Das wird ihren Elan hemmen.«
»Und wieder im Hafen …«
»Es muss der Hafen sein, damit die Menschen stets Annas Schiff im Kopf haben. Schiffe transportieren die Pest. Große Schiffe transportieren mehr Pest. Ein Riesenschiff ist nicht zu kontrollieren. Sie müssen das Geisterschiff vor sich sehen. Anna Rosländer baut Fliegende Holländer. Sie ist die Geißel der Menschheit.«
Ernst blickten sich die Männer an. Kürschner Vierhaus informierte den Mitverschwörer, dass vier weitere Männer bereitstünden, mit zwei Frauen sei man in Verhandlungen. Eine würde unter einem hässlichen Ausschlag auf Gesicht und Hals leiden, dessen Wirkung nicht ausbleiben werde. Der Ausschlag sei noch besser als die fehlenden Finger eines Mannes, obwohl er alle in Spiritus aufbewahrt habe und behaupten werde, dass sie ihm in der letzten Woche abgefallen seien.
»Denkt daran, dass sich alles auf der Werft abspielen muss«, sagte Senftenberg. »Oder in der Nähe. Die Leute müssen diese abgefallenen Finger in Verbindung mit der Werft sehen. Sind sie sehr abstoßend?«
»Ihr glaubt doch nicht, dass ich mir so etwas ansehe. Mir würde übel werden.«
H
Die Untersuchungen des Schweden und der Hure waren abgeschlossen, die Meinung der alten Schlüter war eingeholt worden, Querner hatte man vergleichsweise uninteressiert abgefertigt. Was sich jedoch in die Länge zog, war die offizielle Verlautbarung. Zwischen den Medici und der Stadt war abgemacht worden, dass zuerst
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