Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
Es gab zwei Schlüssel für diese Tür. Einer fand sich in einer Schublade in der Küche, der zweite war verschwunden. Rosalia, das Dienstmädchen, schwor Stein und Bein, den Schlüssel gestern in der Tür gesehen zu haben. Die Haushälterin mit der wandlungsfähigen Frisur schwor Stein und Bein, die Tür gestern eigenhändig abgeschlossen und den Schlüssel im Schloss gelassen zu haben. Beide Frauen hoben die Hand zum Schwur, obwohl Anna sie aufforderte, das fromme Gefuchtel zu unterlassen. Aber es war ihnen wichtig, an ihrer Unschuld keinen Zweifel zu lassen. Einerseits fand Anna das verständlich, andererseits reagierte sie empfindlich auf große Gesten. Zumal sie bedeuteten, dass es um den Schlüssel ein ungutes Geheimnis gab.
Als man allein war, kam Trine auf ihr Anliegen zurück. War den Bediensteten zu trauen? Könnte sich einer zu einer unrechten Tat hinreißen lassen? Gegen Geld? Aus Liebe? Aus Dummheit? Aus Böswilligkeit?
»Wir entfernen uns vom eigentlichen Anlass«, sagte Anna knurrend. »Mir ist zu viel Wenn und Aber im Spiel. Wir wissen nichts, alles ist Vermutung.«
»So redet Ihr, weil Ihr den Gedanken nicht ertragt, unter einem Dach mit jemandem zu leben, der Euch feindlich gesinnt ist.«
»Was will jemand, der die Pläne sucht, mit ihnen anfangen? Er kann nicht glauben, dass es nur eine einzige Ausfertigung gibt.«
»Er wüsste dann, woran er ist, was er zu erwarten hat. Und er wüsste, wo er ansetzen muss, um die Pläne zu bekämpfen.«
»Was soll das heißen? Wenn er das Schiff bekämpfen will, muss er es doch nur versenken. 20 Hiebe mit der Axt, eine Nacht, am nächsten Morgen ist alles vorbei.«
»Ihr denkt so, als würde es um einen Wettkampf gehen. Wie beim Ritterturnier. Es gibt Regeln, an die sich alle halten. Es gibt Kampfrichter und viele Zuschauer, deren Augen die beste Sicherheit gegen hinterlistiges Verhalten darstellen. Aber hier geht es nicht um einen gerechten Kampf. Das Schiff darf nie fertig werden. Selbst wenn es in der Nacht nach der Fertigstellung zerstört wird, haben die Feinde des Schiffes verloren, denn Ihr, verehrte Anna, hättet ihnen bewiesen, dass man Euch nicht aufhalten kann und dass Ihr ein Schiff baut, wie es die Stadt nie fertig gekriegt hat.«
»Aber ich weiß immer noch nicht, warum sie die Pläne haben wollten.«
Die Frauen beugten sich über die Entwürfe aus Querners Feder. Sie zeigten den Rumpf von der Totalansicht über einzelne Teile bis zu den Verbindungsstücken. Ebenso bildeten die Pläne die Segel ab – Totalansicht, Masten, Segeltuch, Nähte. Die Masten waren sehr hoch, die Segel waren schmaler und länger geschnitten, als man es kannte. Unten waren sie deutlich breiter als oben. Anna gab die Informationen, über die Trine nicht verfügte. Denn diese Segel hatten Auswirkungen auf die spätere Größe der Besatzung.
In der Schifffahrt richtete sich die Zahl der Besatzungsmitglieder traditionell nach der Anzahl der Leute, die nötig waren, um das größte Segel zu bedienen. Deren Zahl würde durch das neue Format deutlich geringer werden. So nahm die Zahl der Männer an Bord also nicht automatisch mit wachsender Länge des Schiffs zu. Eine kleinere Besatzung hatte viele Vorteile: weniger Heuer, weniger Wohn- und Schlafräume an Bord, weniger Nahrungsmittel, geringere Gefahr von Konflikten, die bei längeren Fahrten über offene See oft vorkamen und bis zur Meuterei führen konnten. In jedem Fall musste der Kapitän harte Strafen aussprechen und das Klima an Bord wurde nachhaltig vergiftet.
Die Ruderanlage war verzeichnet, natürlich auch Platz und Zahl der Geschütze. Beim Innenausbau war Querner noch nicht ins Detail gegangen.
Die Rückseite trug die persönliche Handschrift Querners . Kleine Zeichnungen, Detailansichten, Papageien, Porträts von Ratsherren und vornehmen Bürgern, karikaturenhaft bis zur Fratze übertrieben. Daneben eine Liste der Zulieferer.
»Seltsam«, murmelte Trine, »ich hätte angenommen, dass alles auf der Werft entsteht. Und nun sehe ich, dass viele Teile aus allen Himmelsrichtungen angeliefert werden.«
»Das ist auf Querners Mist gewachsen. Er sagt, wir müssen verteilen, weil es uns sonst die Werft zersprengen würde. Wenn wir alles hier herstellen, würden auf der Werft Verhältnisse wie auf den Schiffen herrschen. Zu eng, zu gereizt, zu viele Fehler.«
»Ist es wirklich so schlimm an Bord, wie man hört?«
»Falls Ihr jemals den Wunsch verspürt haben solltet, eine lange Reise per Schiff zu unternehmen,
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