Die Adlon - Verschwoerung
spielen würde. Er ist tot.»
«Das wusste ich nicht.»
«Sicher wussten Sie's. Sie haben's nur vergessen, das ist alles. So ist Berlin eben dieser Tage. Alle möglichen Leute sind tot, und wir vergessen es einfach. Fatty Arbuckle. Stefan George. Hindenburg. Hier im Alex ist es nicht anders. Nehmen Sie den Kollegen, der vor ein paar Tagen ermordet wurde. Keiner kann sich an seinen Namen erinnern.»
«August Krichbaum.»
«Keiner außer Ihnen.» Er schüttelte den Kopf. «Sehen Sie, was ich meine? Sie sind ein guter Polizist. Sie hätten nie weggehen dürfen.» Er hob sein Glas. «Auf die Toten. Wo wären wir ohne sie?»
«Immer mit der Ruhe», sagte ich, während er sein Glas zum zweiten Mal in einem Zug hinunterstürzte.
«Ich hatte einen höllischen Morgen. Ich war im Strafgefängnis Plötzensee, zusammen mit den höchsten Berliner Beamten und dem Führer. Und jetzt fragen Sie mich mal, warum?»
«Warum?»
«Weil seine Gnaden die herabsausende Axt in Aktion sehen wollte.»
Die «herabsausende Axt» nannten wir Deutschen anheimelnd die Guillotine.
Otto winkte den Kellner ein drittes Mal herbei.
«Sie haben eine Hinrichtung verfolgt, zusammen mit dem Führer?»
«Das ist richtig.»
«Aber es stand überhaupt nichts von Hinrichtungen in der Zeitung. Wer war es?»
«Irgendein armer Kommunist. Fast noch ein Kind, verstehen Sie? Wie dem auch sei, Hitler hat zugesehen und sich sehr beeindruckt gezeigt. So sehr, dass er beim Hersteller in Tegel zwanzig neue Guillotinen geordert hat. Eine für jede deutsche Großstadt. Er lächelte, als er ging. Was ich von diesem armen Roten nicht behaupten kann. Ich habe noch nie eine Hinrichtung gesehen. Es war anscheinend Görings Idee, dass wir uns das ansehen sollten. Damit wir alle die Schwere der historischen Lage erkennen - oder irgend so ein Schwachsinn. Jedenfalls, so eine fallende Axt hat eine ziemliche Wucht, das kann ich Ihnen sagen. Haben Sie je eine Guillotine bei der Arbeit gesehen?»
«Nur einmal. Gormann der Würger.»
«Ah, richtig. Na, dann wissen Sie ja, wie es ist.» Trettin schüttelte den Kopf. «Mein Gott, ich werde es nie vergessen, solange ich lebe. Dieses grässliche Geräusch. Der Rote hat es mit Fassung ertragen. Als er sah, dass der Führer gekommen war, fing er an, Die rote Fahne zu singen. Wenigstens hat er es versucht, so lange, bis ihm jemand eine Ohrfeige gab. Jetzt fragen Sie mich, warum erzähle ich Ihnen das eigentlich alles?»
«Weil Sie Spaß daran haben, anderen eine Scheiß-Angst einzujagen, Otto. Sie waren schon immer sehr einfühlsam.»
«Ich erzähle es Ihnen, Bernie, weil Leute wie Sie so etwas erfahren müssen.»
«Leute wie ich. Was soll das bedeuten?»
«Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, Kollege. Deswegen muss Ihnen jemand sagen, dass diese Kerle keine Spielchen spielen. Sie sind an der Macht, und sie haben vor, an der Macht zu bleiben, koste es, was es wolle. Vergangenes Jahr gab es nur vier Hinrichtungen im Plötze. Dieses Jahr hatten wir bereits zwölf. Und es werden noch mehr.»
Ein Zug donnerte über uns hinweg, und für fast eine Minute war keine weitere Unterhaltung möglich. Es war ein Geräusch wie eine sehr, sehr große, sehr, sehr langsam fallende Axt.
«Das ist so eine Sache, wenn sich die Dinge verschlimmern, Otto», bemerkte ich. «Gerade noch denkt man, dass es nicht mehr schlimmer werden kann, und dann wird es doch noch schlimmer. Das hat mir der Kollege im Judenreferat der Gestapo jedenfalls gesagt. Es sind ein paar neue Gesetze in Vorbereitung, die bestimmten, dass meine Großmutter nicht deutsch genug war. Nicht, dass es ihr noch irgendwas ausmachen würde - sie ist nämlich schon tot. Aber es scheint, als wäre es von Bedeutung für mich. Wenn Sie verstehen, was ich meine.» «Sicher.»
«Sie sind der Experte für Falschmünzer und Urkundenfälschung. Ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht jemanden kennen, der mir behilflich ist, die Kippa abzulegen. Ich dachte eigentlich immer, ein Eisernes Kreuz wäre alles, was man braucht, um Deutscher zu sein. Scheint so, als hätte ich mich geirrt.»
«Die Deutschen machen immer dann Probleme, wenn sie anfangen, darüber nachzudenken, was es bedeutet, Deutscher zu sein.» Trettin seufzte und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. «Kopf hoch, Jiddo. Sie sind nicht der Einzige. Mein Großvater väterlicherseits war ein Zigeuner. Von ihm habe ich mein gutes Aussehen geerbt.»
«Ich habe nie verstanden, was sie gegen Zigeuner haben.»
«Ich
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