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Die Adlon - Verschwoerung

Die Adlon - Verschwoerung

Titel: Die Adlon - Verschwoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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ich in der Abendzeitung. Es gab ein hübsches Foto von der Präsidentengattin, Marta, bei der Einweihung einer neuen Schule in Boyeros sowie einen Bericht über den bevorstehenden Besuch des US-Senators von Florida, George Smathers. Max Reles wurde mit keinem Wort erwähnt, nicht einmal bei den Todesanzeigen. Nach dem Essen machte ich mir einen Drink. Nichts Besonderes - ich goss ein gutes Maß Wodka aus dem Eisfach in ein sauberes Glas und trank. Ich setzte mich hin, um den Platz von Montaignes totem Freund einzunehmen - eine, meiner Meinung nach, ziemlich treffende Definition für einen Leser. Dann läutete das Telefon, was mich daran erinnerte, dass es Zeiten gibt, in denen der beste Freund ein toter Freund ist.
    Doch es war kein Freund. Es war Meyer Lansky, und er klang verärgert.
    «Gunther?»
    «Ja.»
    «Wo zum Teufel haben Sie gesteckt? Ich versuche schon den ganzen Nachmittag, Sie zu erreichen!» «Ich war bei Max' Mädchen. Dinah.» «Oh. Wie geht es ihr?»
    «Wie Sie gesagt haben. Sie wird drüber wegkommen.»
    «Hören Sie zu, Gunther, ich will mit Ihnen reden, allerdings nicht am Telefon. Ich mag Telefone nicht. Ich mochte sie noch nie. Diese Nummer, unter der ich Sie erreicht habe, 7-8075. Das ist eine Nummer in Vedado, richtig?»
    «Richtig. Ich wohne am Malecon.»
    «Dann sind wir praktisch Nachbarn. Ich wohne in einer Suite im Hotel Nacional. Könnten Sie um neun Uhr vorbeikommen?»
    Mir lagen ein paar freundliche Absagen auf der Zunge, doch keine davon klang freundlich genug für einen Gangster wie Meyer Lansky. Also antwortete ich: «Sicher, warum nicht? Ich könnte einen Spaziergang über die Uferpromenade vertragen.»
    «Könnten Sie mir einen Gefallen tun?»
    «Ich dachte, das würde ich bereits.»
    «Bringen Sie mir von unterwegs eine Packung Parliaments mit, ja? Im Hotel sind sie gerade ausgegangen.»
    Ich spazierte nach Westen, am Malecon entlang, erstand Lanskys Zigaretten und betrat schließlich das größte Hotel von Havanna. Es ähnelte einer Kathedrale, eher noch als die eigentliche Kathedrale von Havanna auf der Empedrado einer Kathedrale ähnelte. Die Lobby war deutlich größer als das Mittelschiff von San Cristobal, mit einer vornehmen Holzdecke, die so manchem mittelalterlichen palacio zur Ehre gereicht hätte. Es roch außerdem viel besser als in der Kathedrale, weil es in der Lobby nur so wimmelte von frisch gewaschenen oder zumindest parfümierten Menschen, auch wenn es im Hotel selbst nach meinem fachmännischen Dafürhalten einen eklatanten Mangel an Personal gab und sich vor dem Empfangsschalter, vor der Kasse und vor dem Concierge lange Schlangen bildeten wie am Fahrkartenschalter eines deutschen Bahnhofs. Irgendwo spielte ein blechern klingendes Klavier ein Stück, das wie aus einem Mädchenballett klang. Entlang der Wand standen vier hohe Wanduhren, keine davon synchron mit den anderen, und sie schlugen die Stunden nacheinander, als wäre Zeit in Havanna nur ein Schätzwert. In der Nähe der Aufzugstüren hing ein wandhohes Bild des Präsidenten und seiner Frau, beide ganz in Weiß gekleidet, sie in einem zweiteiligen Hosenanzug, er in einer tropisch leichten militärischen Uniform. Sie sahen aus wie eine billigere Version der Perons in Argentinien.
    Ich fuhr mit dem Aufzug bis hinauf in die oberste Etage. Hier oben herrschte, im Gegensatz zur Bahnhofshallenatmosphäre unten, eine Stille wie in einer Grabkammer. Möglicherweise war es sogar noch stiller, weil es in Grabkammern normalerweise keine Teppichböden zu zehn Dollar den Quadratmeter gab. Die Türen hier oben in der Vörstandsetage waren alle mit Luftschlitzen versehen, wie um den Abzug der vom Zigarrenrauch schweren Luft zu erleichtern. Die gesamte Etage roch wie der Humidor eines Tabakbarons.
    Lanskys Suite war die einzige mit einem eigenen Türsteher. Der Typ war ein großer Brocken mit breiten Manschetten und einer Brust wie eine Schubkarre. Er drehte sich zu mir um, als ich mich so leise wie Hiawatha durch den Korridor näherte, und ich ließ mich von ihm abtasten, als suchte er in meinen Taschen nach Streichhölzern. Die er natürlich nicht fand. Dann öffnete er die Tür und ließ mich in eine Suite eintreten, die so groß war wie ein leerer Billardsaal. Die Atmosphäre war genauso gedämpft. Doch statt von einem weiteren Juden mit überaktiver Hirnanhangsdrüse wurde ich von einer zierlichen, grünäugigen, rothaarigen Frau Mitte vierzig empfangen, die aussah und klang wie eine New Yorker Friseurin. Sie

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