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Die Adlon - Verschwoerung

Die Adlon - Verschwoerung

Titel: Die Adlon - Verschwoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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taugliches und brauchbares und erst vor wenigen Jahren errichtetes Stadion abgerissen worden, um Raum zu schaffen für die Schlacht von Verdun. Als ich aus dem Wagen stieg, erwartete ich halb, die französischen Frontlinien zu sehen, unsere eigenen Linien und dazwischen die Einschläge schwerer Artillerie.
    Für einen Moment war ich wieder in meiner Uniform und durchlebte die angstvollen Momente jener erdfarbenen, rohen, unmenschlichen Einöde von damals. Und ich fing an, am ganzen Leib zu zittern, als wäre ich soeben aus meinem üblichen Albtraum aufgewacht, in dem ich wieder in den Schützengräben an der Westfront kauerte und mich mit einer Munitionskiste durch den Schlamm und das aufgewühlte Erdreich nach vorn arbeitete, während rings um mich herum Granaten niedergingen. Ich benötigte zwei Stunden, um die hundertfünfzig Meter zu unserer Frontlinie zurückzulegen. Immer wieder warf ich mich in den Schlamm oder wurde vom Luftdruck umgerissen. Ich war durchnässt bis auf die Haut, und Erde klebte an mir, als wäre ich ein Golem aus Morast.
    Fast hatte ich unseren Unterstand erreicht, als ich in ein Kraterloch stolperte und bis zur Gürtellinie im Morast einsank. Ich versank immer tiefer und brüllte verzweifelt um Hilfe, doch der Lärm des Sperrfeuers übertönte jedes andere Geräusch. Wenn ich strampelte, schien ich nur noch schneller in den Morast zu sinken, und innerhalb weniger als fünf Minuten steckte ich bis zum Hals im Schlamm und sah mich dem grausigen Schicksal ausgesetzt, in einem kleinen See aus braunem Dreck zu ersaufen. Ich hatte gesehen, wie Pferde in diesem Morast steckengeblieben waren, und fast jedes Mal hatte es damit geendet, dass sie erschossen wurden, weil es so gut wie unmöglich war, sie wieder herauszuziehen. Ich versuchte meine Pistole zu ziehen, damit ich mir selbst in den Kopf schießen konnte, bevor ich ganz versank, doch auch das war hoffnungslos. Der Schlamm hielt mich fest umschlungen. Ich versuchte mich nach hinten zu lehnen, um vielleicht auf der Oberfläche zu schwimmen, doch auch das war nicht von Erfolg beschieden.
    Und dann, gerade als mir der Schlamm bis zur Unterlippe reichte, gab es eine gewaltige Explosion ein paar Meter von mir entfernt, als eine Granate einschlug, und ich wurde wie durch ein Wunder aus dem Schlamm gerissen und hinauf in die Luft geschleudert und landete zwanzig Meter entfernt, taub, zerschunden, doch ansonsten unverletzt. Hätte ich nicht in diesem Morast gesteckt, die Explosion hätte mich sicherlich umgebracht.
     
     
    Das war mein wiederkehrender Albtraum, und jedes Mal wachte ich schweißgebadet und atemlos auf, als wäre ich soeben durch das Niemandsland gerannt. Selbst jetzt, am helllichten Tag, musste ich mich für einen Moment auf die Hacken niederlassen und mehrere tiefe Atemzüge nehmen, bis ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte. Ein paar bunte Farbtupfer in der einst üppigen, doch jetzt verunstalteten Landschaft halfen mir, mich zu beruhigen - blaue Disteln vor der fernen Baumlinie, rote Nesseln nahe der Stelle, wo ich aus dem Wagen ausgestiegen war, gelbblühendes Jakobskraut, ein Rotkehlchen, das einen fetten Regenwurm aus dem Boden zerrte, der strahlend blaue Himmel und schließlich die Armee von Arbeitern und ein Schmalspurgleis, auf dem eine kleine Lok Loren voll mit Erdreich von einem Ende der Baustelle zum anderen transportierte.
    «Ist alles in Ordnung? Geht es Ihnen gut?»
    Der Mann trug eine Schirmmütze und eine dicke gefütterte Steppjacke. Die schwarze Hose endete mehrere Zentimeter über schweren Arbeitsstiefeln, an denen mehrere Kilo Morast hafteten. Ein Vorschlaghammer ruhte auf einer Schulter, die so breit war wie Jütland. Seine Haare waren weißblond und seine Augen so blau wie die Blüten der Disteln. Sein Kinn und seine Wangenknochen sahen aus wie von Josef Thorak gemeißelt, dem beliebten Nazi-Bildhauer.
    «Es geht schon wieder», sagte ich und stand auf. Ich steckte mir eine Zigarette an und deutete auf unsere Umgebung. «Als ich dieses Niemandsland gesehen habe, ist es mit mir ein wenig durchgegangen, wie bei August Stramm, verstehen Sie? »
    Zu meiner nicht geringen Überraschung vollendete er das Gedicht: « Ja, dieses Gedicht kenne ich. . Ich war bei der zweiten Königlichen Württembergischen. Siebenundzwanzigste

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