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Die Adlon - Verschwoerung

Die Adlon - Verschwoerung

Titel: Die Adlon - Verschwoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Regelfall zu sein schien.
    «Ich hatte letzte Woche nur einen einzigen Tag», sagte ein Mann. «Die Woche davor waren es zwei. Ich muss heute unbedingt arbeiten, sonst haben wir nichts zu beißen.»
    Ein anderer fing an, auf Goerz zu schimpfen, doch er wurde rasch zum Schweigen gebracht.
    «Schuld sind die Nazis, nicht Goerz. Wäre er nicht, würde keiner von uns arbeiten. Er riskiert genauso viel wie wir. Vielleicht sogar noch mehr.»
    «Wenn du mich fragst, er lässt sich sein Risiko fürstlich bezahlen.»
    «Ich bin zum ersten Mal hier», verriet ich dem Mann neben mir. «Wie schafft man es, Arbeit zu bekommen?»
    Ich bot ihm eine Zigarette an, und er musterte mich mit einem eigenartig misstrauischen Blick - als hätte niemand, der die Arbeit dringend brauchte, Geld übrig für einen solch kostspieligen Luxus wie Zigaretten. Er nahm sie trotzdem und klemmte sie sich hinters Ohr.
    «Ich weiß es nicht», sagte er. «Ich komme seit sechs Monaten her, und ich habe immer noch nicht rausgefunden, nach welchen Kriterien er uns auswählt. An manchen Tagen scheint er jemanden zu mögen, an anderen würdigt er denselben Kerl keines Blickes.»
    «Vielleicht versucht er nur, die Arbeit gleichmäßig zu verteilen?», schlug ich vor. «Der Gerechtigkeit halber?»
    «Gerechtigkeit?» Der Mann schnaubte geringschätzig. «Mit Gerechtigkeit hat das nicht das Geringste zu tun. An einem Tag nimmt er hundert Leute, am nächsten Tag braucht er nur fünfundsiebzig. Ich denke, es ist seine Art von Faschismus. Goerz zeigt uns auf seine Weise, wie viel Macht er hält.»
    Der Mann war einen Kopf kleiner als ich, hatte rote Haare und scharf geschnittene Gesichtszüge. Er trug eine Arbeitermütze und hatte ein hellgrünes Tuch um den Hals geschlungen, das zur Farbe der Augen hinter der Brille mit dem dünnen Drahtgestell passte. Aus der Jackentasche lugte ein Buch von Dostojewski, und ich hatte fast das Gefühl, als wäre dieser junge Intellektuelle in voller Montur aus dem Buch gesprungen, neurotisch, arm und unterernährt, wie er war. Sein Name lautete Solomon Feigenbaum.
    «Wie dem auch sei, du bist das erste Mal hier, und die Neuen werden so gut wie immer ausgewählt», erzählte Feigenbaum. «Goerz gibt den Neuen gerne einen Tag Arbeit, um sie auf den Geschmack zu bringen.»
    «Da bin ich erleichtert.»
    «Wenn du es sagst. Allerdings siehst du nicht gerade aus, als hättest du so dringend Arbeit nötig. Genaugenommen siehst du nicht mal aus wie ein Jude.»
    «Genau das hat meine Mutter auch immer zu meinem Vater gesagt. Ich nehme an, deswegen hat sie ihn geheiratet. Es braucht mehr als eine Hakennase und eine Jarmulke, um einen Juden zu machen, mein Freund. Was ist mit Helene Mayer?»
    «Wer ist das?»
    «Eine jüdische Fechterin, die in der deutschen Olympiamannschaft von 1932 gewesen ist. Sie sieht aus wie Hitlers wahr gewordener feuchter Traum. Mehr blondes Haar als auf dem Boden eines schwedischen Friseurladens. Oder Leni Riefenstahl. Sicher hast du die Gerüchte gehört.»
    «Du machst Witze.»
    «Ganz und gar nicht. Ihre Mutter war eine polnische Jüdin.»
    Feigenbaum schien sich darüber zu amüsieren.
    «Hör zu, Freund», sagte ich. «Ich habe seit Wochen nicht mehr gearbeitet. Ein Freund hat mir erzählt, dass es hier etwas zum Placken gibt. Eigentlich hatte ich gehofft, ihn zu sehen.» Ich drehte mich um und blickte suchend zur Menge hinüber, die sich um das Denkmal herum versammelt hatte, bevor ich enttäuscht den Kopf schüttelte.
    «Hat dein Freund dir auch erzählt, was das für eine Arbeit ist?», fragte Solomon.
    «Nur, dass keine Fragen gestellt werden.»
    «Das ist alles?»
    «Gibt es sonst noch was?»
    «Beispielsweise, dass sie jüdische Arbeiter einsetzen für Aufgaben, die sogenannte arische Deutsche nicht machen wollen, weil sie zu gefährlich sind. Weil sie eine Menge Sicherheitsvorschriften umgehen, um rechtzeitig mit dem Bau fertig zu werden. Hat dein Freund dir das erzählt?»
    «Versuchst du mir die Arbeit zu vergraulen?»
    «Ich sage nur, wie es ist. Ich denke nämlich, wenn dein Freund wirklich dein Freund wäre, hätte er dir zumindest so viel verraten - dass man ziemlich verzweifelt sein muss, um diese Risiken einzugehen. Es ist nicht so, dass dir irgendjemand einen Schutzhelm gibt, mein Freund. Ein Stein fällt dir auf den Kopf, oder du wirst verschüttet - niemand wird überrascht oder gar traurig sein. Es gibt keine Wohlfahrt für illegal beschäftigte Juden. Meistens gibt es nicht mal einen

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