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Die Adlon - Verschwoerung

Die Adlon - Verschwoerung

Titel: Die Adlon - Verschwoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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sehe euch auch so», schnarrte Goerz. «Was glaubt ihr, was das hier ist? Ein Schönheitswettbewerb? Los, zurück! Tut, was man euch sagt! Wenn ihr mir zu nahe kommt, so wie letzte Woche, arbeitet heute niemand von euch, habt ihr das verstanden? Alles herhören. Herhören, die Herren Itzigs! Ich brauche heute nur zehn Gruppen, klar? Zehn Gruppen ä zehn Mann, einhundert insgesamt, kapiert? Du da! Wo ist das Geld, das du mir schuldest? Ich habe dir gesagt, du sollst dich hier nicht mehr blicken lassen, bevor du mich nicht bezahlen kannst!»
    «Wie kann ich Sie bezahlen, wenn ich nicht arbeiten kann?», antwortete eine klagende Stimme.
    «Das hättest du dir vorher überlegen sollen», sagte Goerz. «Ich weiß es nicht, und es ist mir auch egal. Lass deine Schwester auf den Strich gehen oder was. Was interessiert es mich?»
    Die beiden Handlanger packten den Mann und schoben ihn beiseite.
    «Du da.» Goerz hatte sich an den Nächsten gewandt. «Wie viel hast du für diese Kupferrohre bekommen?» Der Angesprochene murmelte etwas.
    «Her damit!», schnarrte Goerz und riss dem Mann ein paar Banknoten aus der Hand.
    Nachdem er auf diese oder ähnliche Weise all seine geschäftlichen Angelegenheiten geregelt hatte, machte er sich daran, Männer für die Gruppen auszusuchen. Während die Gruppen allmählich größer wurden, machten die zurückgebliebenen Männer einen immer verzweifelteren Eindruck, was Goerz köstlich zu amüsieren schien. Er erinnerte mich an einen launischen Schuljungen, der für ein Fußballspiel Klassenkameraden auswählt. Als die letzte Gruppe an der Reihe war, meldete sich ein Mann zu Wort. «Ich gebe Ihnen zwei mehr für meine Schicht.»
    «Ich gebe Ihnen drei!», rief der Mann direkt neben ihm und wurde prompt mit einer der Karteikarten belohnt, die die Handlanger jenen Glücklichen überreichten, die Goerz für diesen Tag als Arbeiter auserwählt hatte.
    «Ein Platz ist noch frei», sagte er schließlich breit grinsend. «Wer will ihn haben?»
    Feigenbaum schob sich durch die Menge nach vorn. «Bitte, Herr Goerz», flehte er. «Es ist eine Woche her, dass ich zum letzten Mal gearbeitet habe. Ich brauche das Geld wirklich dringend. Ich habe drei kleine Kinder.»
    «Das ist das Problem mit euch Juden», entgegnete Goerz. «Ihr vermehrt euch wie die Karnickel. Kein Wunder, dass euch alle hassen.»
    Goerz sah mich an. «Du da. Boxer.» Er nahm einem seiner Lakaien die letzte Karte aus der Hand und hielt sie mir hin. «Hier ist deine Arbeit.»
    Ich fühlte mich schlecht, doch ich nahm die Karte trotzdem. Ich vermied Feigenbaums Blick, während ich dem Rest der Männer, die ausgewählt worden waren, die Stufen hinunter zum Flussufer folgte. Es waren dreißig oder vierzig Stufen, und sie waren so steil wie eine Jakobsleiter. Was möglicherweise die Absicht des preußischen Königs Wilhelm II. gewesen war, dessen romantische Vorstellungen von Ritterlichkeit dieses Denkmal überhaupt erst möglich gemacht hatten.
    Ich hatte fast zwei Drittel der falschen Jakobsleiter hinter mir, als ich den Lastwagen sah, der Eric Goerz' illegale Arbeiter zur Baustelle bringen sollte. Im gleichen Moment hörte ich hinter mir Schritte, die sich rasch näherten. Es näherte sich mir allerdings kein Engel, sondern Goerz. Er holte mit einem Totschläger aus, doch er verfehlte mich, und wie einst Jakob war ich gezwungen, mit ihm zu ringen, jedenfalls so lange, bis ich den Halt verlor und die restlichen Stufen hinunterpurzelte und mit dem Kopf gegen die Steinwand schlug.
    Es fühlte sich an, als läge ich auf einer großen Konzertharfe, während jemand mit einem Vorschlaghammer auf das Gehäuse einschlug. Alles in mir schien zu vibrieren. Für einen Moment lag ich einfach nur da und starrte hinauf in den frühmorgendlichen grauen Himmel in dem sicheren Wissen, dass Gott - im Gegensatz zu Hitler - entschieden einen Sinn für Humor hatte. Es stand schließlich sogar in den Psalmen: Er, der im Himmel sitzt, wird lachen. Was war geschehen? Feigenbaum, der Jude, hatte, um meinen Platz zu bekommen, mich, seinen Mitjuden, bei dem fiesen Goerz angeschwärzt und ihm verraten, dass ich mich nach Isaac und Joseph Deutsch erkundigt hatte. Er, der im Himmel sitzt, wird lachen - laut lachen. Ich hätte mich jedenfalls totgelacht an seiner Stelle. Ich schloss die Augen und fragte ihn im Gebet, ob er etwas gegen Deutsche hatte, doch die Antwort war allzu offensichtlich. Als ich die Augen wieder öffnete, stellte ich fest, dass ich trotzdem

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