Die Äbtissin
Einfluss.«
»Lässt sich nicht irgendwie erreichen, dass der junge Leguizamón seinen Anspruch auf Inés aufgibt?«
Don Alvaro lachte, als wäre diese Frage eher einem kleinen Kinde als einer gestandenen Äbtissin angemessen.
»Man merkt, dass Ihr lange Jahre fernab der Welt verbracht habt…«
»Ihr wisst nicht, wie viele!«, seufzte María.
»In der Grafschaft Biskaya«, fuhr der Mann fort, »wie auch hier in Kastilien untersteht eine Waise der Vormundschaft ihres nächsten männlichen Verwandten, insbesondere dann, wenn Vermögen vorhanden ist. Er entscheidet über ihr Leben und auch über ihren Tod. Nur zu gerne hätte ich Inés an Kindes statt angenommen. Ich kenne und liebe sie seit ihrer Geburt, denn sie war die Tochter meines guten Freundes Martín de Mugica, doch kein Gesetz würde dem stattgeben, solange es noch lebende männliche Verwandte gibt.«
Aus ihren Unterhaltungen mit Don Alvaro erfuhr María noch einiges mehr über die junge Novizin und deren Heimat. Nach und nach erhielt sie Einblick in das Geflecht der biskayischen Gesellschaft, die der kastilischen so ähnlich war und sich doch so sehr von dieser unterschied.
Schließlich war der Tag der Abreise gekommen, den sie immer wieder hinausgeschoben hatte, vielleicht in der Hoffnung, dass sich ihr eine weitere Gelegenheit bieten könne, den König zu sehen. Eines Tages stellte sie fest, dass die Fahne Aragóns nicht mehr auf der Burg wehte, und da wusste sie, dass ihr Vater Medina verlassen hatte. Nun gab es keine Ausrede mehr, und sie beschloss, die Reise am nächsten Morgen fortzusetzen.
Don Luis de Mendoza bestand darauf, dass Gonzalo Lope de Salazar ihnen Geleitschutz gewähren solle, worüber sie alle sehr erfreut waren. Es war nicht zu übersehen, dass Inés seine Gesellschaft genoss; Antoñino wiederum gefiel die Vorstellung, mit einem Hauptmann unterwegs zu sein, und zudem hoffte er, dass dieser ihn im Gebrauch des Schwertes unterweisen würde; und auch María hatte Gefallen an Don Gonzalo gefunden. Falls sie von Wegelagerern überfallen werden sollten, von denen so viel die Rede war, würde er sie verteidigen können. Joaquina war die Einzige, die sich zurückhaltend zeigte. Ihr war die Beziehung ein Dorn im Auge, die zwischen dem Soldaten und der jungen Inés entstanden war, doch sie musste sich dem Willen der Übrigen beugen, insbesondere jenem ihrer Äbtissin.
Sie benötigten einige Stunden für die sechzig Meilen bis Tordesillas, das sie ohne Zwischenfälle erreichten. Dort begaben sie sich direkt zu dem dort ansässigen Konvent der Augustinerinnen. Es war ein kleines, bescheidenes, aber einladendes Kloster, und ihre Ankunft verursachte einigen Aufruhr unter den Ordensfrauen, die nicht daran gewöhnt waren, so hohen Besuch zu empfangen. Der Hauptmann und Antoñino nahmen Quartier in der Herberge am Marktplatz, und die drei Frauen mussten sich wieder ins klösterliche Leben einfügen.
In diesem Kloster brauchte María nicht viel zu inspizieren, obwohl die Äbtissin darauf bestand, sie in jeden Winkel der Anlage zu führen, damit sie sich überzeugen konnte, dass alles in bester Ordnung war. Sie forderte María mehrmals auf, die Rechnungsbücher durchzusehen und zeigte ihr stolz den Garten, der die Schwestern mit Gemüse versorgte, die Kuh, die ihnen Milch gab, und die Hühner, die im Hof pickten. Sie zeigte ihr auch die Werkstatt, in der die Nonnen Tischdecken, Vorhänge und Messgewänder webten und bestickten. Mit dieser Arbeit erwarben sie sich ein paar Maravedís, um Stoffe, Garn und Dinge des täglichen Bedarfs zu erwerben. María schrieb ihren Bericht und legte einen Brief bei, in dem sie den Grund für ihren langen Aufenthalt in Medina erklärte, und übergab beides der Äbtissin, damit diese es bei nächster Gelegenheit nach Toledo schickte.
Einige Tage nach ihrer Ankunft besuchte María das Kloster Santa Clara, das sich am Ende der Straße befand. Es war ein ungewöhnlich schöner Ort, von dessen Garten aus man die herrliche, vom Duero gebadete Landschaft überblicken konnte. Sie hatte vor, ihrer Halbschwester Königin Johanna einen Besuch abzustatten, aber als Vorwand gab sie an, die guten Beziehungen zwischen Augustinerinnen und Klarissen pflegen zu wollen. Während die Äbtissin ihr die Anlage zeigte, wurde ihr Staunen immer größer. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass ein Kloster so schön sein könne. Später begriff sie den Grund für so viel erlesene Pracht.
Trotz einiger Veränderungen war das
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