Die Äbtissin
Gebäude in seinem Kern maurisch. Die Fassade, die Bögen, die Fensterstürze und der Patio waren mit filigranen Stuckarbeiten im arabischen Stil geschmückt, die vielfach noch die ursprüngliche Farbgebung bewahrt hatten. Es war sonderbar, an einem Ort der Sammlung diese goldene, rote, blaue und grüne Farbenpracht zu sehen, wie María sie bei der Illustrierung des Kodexes für die Königin verwendet hatte. Beim Anblick der gewaltigen, in Gold und Rot gehaltenen, mit Feigenblättern und Ranken verzierten Kuppel der Kapelle, die den Altar und das wenige Mobiliar ganz klein wirken ließ, konnte sie einen Ausruf des Staunens nicht unterdrücken.
»Zur Zeit König Alfons’ XI.«, erklärte ihr die Äbtissin, »war dieser Raum als der Goldene Saal bekannt. Hier fanden Versammlungen und Audienzen statt.«
Die Nonne war daran gewöhnt, dass die Kuppel die Neugier der Besucher weckte, und María nutzte die Gelegenheit, um die Äbtissin über die Ursprünge des Klosters zu befragen. Diese war erfreut, ihr Wissen unter Beweis stellen zu können, und berichtete ihr ausführlich von den Ereignissen, die vor zweihundert Jahren an diesem Ort stattgefunden hatten, der nun eine Stätte des Gebets war.
Der kastilische König Alfons XL hatte sich aus politischen Gründen, wie dies üblich war, mit María von Portugal vermählt, die junge Gattin jedoch schon bald verlassen, um in den Krieg gegen die Mauren zu ziehen. In Sevilla machte der König die Bekanntschaft Doña Leonors de Guzmán, einer Witwe aus dem niederen Adel von großer innerer und äußerer Schönheit. Der König verliebte sich unsterblich in sie und machte sie zu der Seinen. Damit begann eine Beziehung, die zwanzig Jahre währte und aus der elf Kinder hervorgingen, von denen sieben die Pubertät erreichten. Der König ließ für seine Geliebte und deren Kinder den Palast von Tordesillas erbauen, im arabischen Stil, den die Dame liebte, und hielt dort Hof, bis er in Andalusien an der schwarzen Pest starb. Doña Leonor wurde auf Befehl der Königinwitwe und ihres Sohnes Pedro des Grausamen eingekerkert und getötet. Der neue König Pedro liebte ebenfalls eine Frau, Doña María de Padilla, die er sehr jung kennen gelernt hatte und bald nach Tordesillas brachte. Diese Liebe hinderte ihn jedoch keineswegs daran, Bianca de Bourbon zu ehelichen, die er nach drei Tagen des Zusammenlebens verließ und nie wieder sah. Acht Jahre nach der Hochzeit ließ Don Pedro seine Gemahlin erschlagen.
»Das ist keine sehr erbauliche Geschichte«, bemerkte María ein wenig ironisch.
»Nach dem Tod María de Padillas«, fuhr die Äbtissin ungerührt fort, »machte der König den Palast Doña Beatriz zum Geschenk, der Ältesten der vier Kinder, die er mit jener Dame gehabt hatte, und trug ihr auf, ein Klarissenkloster zu gründen, dessen erste Äbtissin sie war. Und da sind wir bis heute«, sagte sie lächelnd.
María erschauderte. Seit damals hatte sich viel verändert. Sie kam nicht umhin, diese Frauen, die von zwei Königen geliebt und reich beschenkt worden waren, mit ihrer Mutter zu vergleichen, die ebenfalls das Bett eines Königs geteilt hatte. Ihr Schicksal indes war ein ganz anderes gewesen.
»Diese Mauern haben Außergewöhnliches gesehen«, fuhr die Äbtissin fort, ohne zu ahnen, welche Gedanken ihrer Besucherin durch den Kopf gingen. »Vor sechzehn Jahren erst wurde hier der so genannte Vertrag von Tordesillas unterzeichnet. Ihre Hoheiten Doña Isabella und Don Ferdinand sowie der König von Portugal weilten mehrere Tage im Palast.«
María erinnerte sich an das Ereignis, weil damals viel die Rede davon gewesen war. Es hatte große Feierlichkeiten gegeben anlässlich dieses Übereinkommens, in dem Kastilien und Portugal die jenseits des Meeres entdeckten Länder unter sich aufteilten und die Trennungslinie anerkannten, die Papst Adrian VI. in einer Bulle festgelegt hatte. Es war ihr schon immer zumindest merkwürdig erschienen, dass die Könige Tausende Meilen von West-Indien entfernt zusammenkamen, um darüber zu entscheiden, was jedem der beiden Länder gehören sollte. Ihres Wissens war keiner von ihnen jemals in der Neuen Welt gewesen, die sie so leichthin unter sich aufteilten.
Als sie sich in der Kapelle umsah, blieb ihr Blick an einem Katafalk hängen, der vor einem der Fenster stand. Er war mit einem schwarzen Tuch bedeckt, das mit dem goldenen Wappen Kastiliens bestickt war. Ringsum standen vier große, schwere Goldleuchter mit brennenden Kerzen.
»Dies sind die
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