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Die Äbtissin

Die Äbtissin

Titel: Die Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toti Lezea
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ging hinaus.
    »Diese Erscheinung ist einer Königin nicht würdig«, warf sie der Äbtissin vor, als sie den Turm verließen. »Kann man ihr keine angemessenere Kleidung geben? Können ihre Dienerinnen sie nicht baden und ihr das Haar richten?«
    Die Äbtissin seufzte.
    »Zu Beginn ihres Aufenthaltes bei uns nahm sie jeden Monat ein Bad, wechselte die Kleidung und verbrachte Stunden damit, ihr Haar zu kämmen. Nach und nach verschlechterte sich ihr Zustand, und mittlerweile ist es unmöglich, sich ihr zu nähern. Sie lässt sich von niemandem anfassen, erst recht nicht, wenn man versucht, sie umzuziehen und ihre Kleider zu wechseln. Sie schreit wie eine Besessene, flucht und sagt furchtbare Dinge. Wäre sie nicht in einem solch bedauernswerten Zustand, wäre sie unweigerlich zum ewigen Höllenfeuer verdammt. Gott unser Herr wird ihren Zustand am Tag des Jüngsten Gerichts in sein Urteil einbeziehen.«
    »Ist sie immer so?«, wollte María wissen.
    »O nein! Manchmal kommt sie wieder zur Vernunft und ist so liebenswürdig, wie es eine Dame nur sein kann. Dann versuchen ihre Zofen sie herzurichten, doch leider werden diese lichten Momente immer seltener.«
    Sie gingen schweigend weiter. Es war merkwürdig, dachte María. Sie, die uneheliche Tochter des Königs, die ihrem Heim und den Armen ihrer Mutter entrissen wurde, hatte bei den Nonnen, die sie umsorgt und behütet hatten, eine angenehme Zuflucht gefunden. Die Thronfolgerin desselben Königs hatte aus politischen Gründen gleichfalls ihr Zuhause verlassen müssen, um mit sechzehn Jahren einen eitlen Gecken zu heiraten, der herausgeputzt und parfümiert umherstolzierte und sich schamlos seiner Liebschaften rühmte, obwohl er seinem Vater, Kaiser Maximilian von Österreich, auf den Thron folgen sollte. Und nun reiste sie selbst frei durch Kastilien, während die um zwei Jahre jüngere Johanna als Gefangene in einem Turm vegetierte.
    »Kommt Seine Hoheit der König seine Tochter besuchen?«, fragte sie scheinbar unbeteiligt.
    »Nicht sehr häufig, fürchte ich. Seine Pflichten halten ihn sehr beschäftigt. Ihr müsst bedenken, dass er Kastilien regiert, solange sich seine Tochter in diesem Zustand befindet, und darüber Sorge tragen muss, dass sein Enkel Karl die Krone übernimmt, wenn es an der Zeit ist. Aber er ist zweimal hier gewesen«, fügte die Nonne hinzu, »und er leidet sehr, wenn er seine Tochter in diesem bejammernswerten Zustand sieht.«
    María sagte nichts. Sie glaubte nicht, dass der König beim Anblick seiner verrückt gewordenen Tochter allzu sehr litt. Er litt vielmehr, weil sich seine Ambitionen, seine Pläne, die er ein Leben lang minutiös vorherbedacht hatte, die Einsetzung seiner Kinder zu politischen Zwecken und viele andere Vorhaben eines nach dem anderen zerschlagen hatten. In diesen Momenten, in denen das Alter und vielleicht der Tod an seine Tür klopften, sah der Mann, der einmal der mächtigste Herrscher der Christenheit gewesen war und davon geträumt hatte, nicht nur über Kastilien und Aragón zu herrschen, sondern auch über die übrigen Länder Spaniens, über Portugal, Neapel, Sizilien und die neu entdeckten Länder, wie alles, wofür er gekämpft und auch Verrat geübt hatte, in den Händen einer Geisteskranken und eines Enkels zurückblieb, den er nicht einmal kannte. Nein, der König litt um seiner selbst willen, da war sie sich sicher.
     
     
    Nachdem María der Äbtissin der Augustinerinnen unzählige Male versichert hatte, welch eine Freude ihr der Besuch gewesen sei, verließ sie Tordesillas und machte sich mit ihren Begleitern über den Königsweg entlang des Duero auf den Weg nach Valladolid.
    Vor ihnen erstreckten sich die Felder, gesprenkelt mit kleinen Dörfchen, deren Bewohner bei der Landarbeit waren. Zuweilen wurden sie von riesigen Schafherden aufgehalten, die Inés und Joaquina zu Gelächter und Scherzen hinrissen. Wie auch María hatten sie noch nie so viele Schafe auf einmal gesehen. Don Gonzalo ritt voraus, und manchmal nahm er Antoñino auf die Kruppe seines Pferdes. Sie sahen sie davongaloppieren und hörten ihr Lachen. Der Junge genoss diese Ausritte, die ihn von großen Heldentaten und wundersamen Abenteuern träumen ließen. Unterdessen versuchte María den Karren zu lenken und den zahllosen Schlaglöchern auszuweichen, die den Weg pflasterten.
    Sie erreichten Valladolid nach einer einzigen Rast in Simancas, dem römischen Septimanca. Valladolid war eine wunderbare Stadt mit herrschaftlichen Häusern und

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