Die Äbtissin
Palästen sowie zahlreichen Kirchen und Klöstern. Es war nicht schwer herauszufinden, wo sich das Konvent der Augustinerinnen befand, und dorthin wandten sie sich, indes der Hauptmann und Antoñino wie schon in Tordesillas Unterkunft in einer Herberge suchten.
María musste sich eingestehen, dass sie ihre heimliche Freude an der Überraschung, Bestürzung und Angst hatte, die ihre Ankunft bei den Nonnen des Ordens auslöste. Durch die überstürzte Abreise aus Madrigal hatte sie keine Zeit gehabt, die Klöster von ihrem Kommen zu benachrichtigen. Andererseits war es ihr lieber so, denn eine Inspektion, die vorher angekündigt wurde, war keine Inspektion. In Valladolid fiel der Empfang nicht so herzlich aus wie in dem Kloster in Tordesillas. Dieses Kloster war viel besser ausgestattet, doch dafür, dass es eine Stätte des Gebets sein sollte, gab es zu viele Freiheiten. Die Nonnen gingen nach Belieben ein und aus und empfingen Besuche aller Art, sogar solche von jungen Männern, die nicht zur Familie gehörten. Einmal zählte sie bis zu zwanzig Besucher, die sich im Besuchsraum vergnügten, einen kleinen Imbiss zu sich nahmen und den Nonnen, denen ihr Besuch galt, den neuesten Klatsch aus der Stadt erzählten. Obwohl die Stunden des gemeinsamen Gebets streng festgelegt waren, fehlten viele Schwestern in der Kapelle und entschuldigen sich mit fadenscheinigen Ausflüchten wie Kopfschmerzen oder dass sie die Glocke nicht gehört hätten.
Sie rief die Äbtissin zu sich und machte Gebrauch von der Vollmacht, die man ihr erteilt hatte. Die Äbtissin war eine junge Frau, eine uneheliche Tochter des Grafen von Benavente, einer der einflussreichsten Persönlichkeiten in der Stadt und bei Hofe. Ihre Ernennung zur Äbtissin verdankte sie den umfangreichen Gefälligkeiten und dem nicht minder großen Vermögen, das ihr Vater zur Unterhaltung des Klosters gestiftet hatte.
»Nun, Schwester«, begann sie, »Ihr werdet gewiss festgestellt haben, dass es hier nicht so weitergehen kann.«
Die Äbtissin wirkte überrascht, sehr überrascht. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und schloss ihn wortlos wieder.
»Wir sind kein Orden für verwöhnte Hofdämchen«, fuhr María unbeirrt fort, »sondern Klosterfrauen, die sich dem Gebet und der Sammlung widmen sollten. Ich habe Vollmacht, in Fällen wie diesem Maßnahmen zu ergreifen, die ich für angemessen erachte, und genau dies werde ich tun. Von nun an wird es keinen Ausgang mehr geben und auch keine Besuche, es sei denn von Familienangehörigen und nach vorheriger Erlaubnis. Die Gebetszeiten sind einzuhalten, und ich möchte alle Schwestern in der Kapelle sehen, es sei denn, eine von ihnen läge im Sterben. Habt Ihr mich verstanden?«
Das Gesicht der jungen Äbtissin hatte von scharlachrot zu fahlstem Weiß gewechselt und in ihren Augen funkelte ein zurückgehaltener Zorn.
»Mir scheint«, erwiderte sie, jedes Wort betonend, »Euer Gnaden wissen nicht, wen Ihr vor Euch habt…«
»O doch, natürlich weiß ich, wen ich vor mir habe!«, entgegnete María. »Die Äbtissin eines Augustinerinnenkonvents, die aus diesem Ort eine Residenz für müßig gehende Damen gemacht hat, die ihre Stunden mit Nichtstun und Klatsch verbringen, statt sie der Arbeit und dem Gebet zu widmen. Noch heute werde ich einen Bericht nach Toledo entsenden, und dort wird man die geeigneten Maßnahmen treffen. In der Zwischenzeit wird getan, was ich sage, andernfalls werdet Ihr das Kloster verlassen müssen.«
»Aber mein Vater ist der Graf von Benavente!«, brach es aus der jungen Frau heraus.
»Keine von uns hat Vater oder Mutter. Wir sind nur den heiligen Regeln unseres Ordens verpflichtet«, antwortete María kühl. »Das ist alles, was ich zu sagen habe.«
Es war eine angespannte, heftige Unterhaltung gewesen, und bald wusste María, welche Konsequenzen sie haben würde. Wenige Stunden später wurde der Graf höchstpersönlich im Kloster vorstellig und verlangte sie zu sprechen.
»Diese Nonne meine ich, die sich Inspektorin nennt«, setzte er verächtlich hinzu.
Der Graf ließ sie nicht zu Wort kommen. Er zählte die Begünstigungen und Zuwendungen auf, die aus diesem Kloster einen Ort gemacht hatten, zu dem die besten Familien ihre Töchter brachten. Er drohte damit, den Fall dem Bischof vorzutragen, der zudem mit ihm verwandt sei, und brachte sogar den Kardinal und den König ins Spiel. María hörte unbewegt zu, und als der Mann nichts weiter hinzuzufügen hatte, rief sie Joaquina und bat
Weitere Kostenlose Bücher