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Die Äbtissin

Die Äbtissin

Titel: Die Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toti Lezea
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für sie mit Leintüchern und Decken bezogen worden waren. Des Weiteren gab es in dem Raum ein Kruzifix, mehrere Betschemel sowie eine große Waschschüssel mit einem Krug Wasser. Die Gebete der drei Frauen fielen kurz aus. Nach der Nacht im Wald verlangten Körper und Geist nach Erholung, und die weißen Laken zogen sie an wie der Honig die Fliegen. Dennoch schlief María nur wenig. Sie konnte nicht aufhören, an all die Dinge zu denken, die sich seit ihrer Abreise aus Madrigal ereignet hatten.
    Sie hatte ihren Vater gesehen und bei seinem Anblick beinahe den Groll vergessen, der in ihr geschwelt hatte, seit sie das Sendschreiben des Papstes erhielt. Nichts in der Welt würde ihr die Jahre ihrer Kindheit und Jugend zurückbringen, doch noch war Zeit, den Rest ihres Lebens zu genießen, wenn sie herausfinden könnte, was sie verloren oder vielleicht nie besessen hatte, und wäre es nur, um sich der Realität ihrer Existenz zu vergewissern. Und was sollte sie zu ihrem Besuch bei Johanna sagen, der bedauernswerten verrückten Königin? Als sie die Augen schloss, sah sie sie wieder mit irrem Blick auf der Erde kauern. Die erste Frau des Reiches war zugleich die hilfloseste von allen. Und der Besuch der anderen Johanna? Ihrer beider Schicksal hätte so ähnlich sein können und war doch so unterschiedlich. Sie würde die Erinnerung an die beiden für immer als Vision dessen im Herzen tragen, was ihre Familie hätte sein können.
    Als der Schlaf sie schon fast übermannt hatte, erinnerte sie sich an die Worte des Banditen, bevor er starb. War es möglich, dass ein verderbter, niederträchtiger Kerl, der zu den schlimmsten Scheußlichkeiten imstande war, eine solche Liebe, eine solche Verehrung für eine Frau hegen konnte? Aus seinen bitteren Worten war unschwer herauszulesen, dass seine Liebe nicht in dem Maße erwidert worden war, wie sich dies ein Mann erhoffte. Jeder wusste um die Treue Königin Isabellas, die sich stets von ihren Kindern oder ihren Hofdamen begleiten ließ, wenn der König nicht bei ihr weilte, um keinen Zweifel an ihrer Tugend aufkommen zu lassen. Ihre Beichtväter hatten ihr mit schrecklichen Strafen gedroht, die Gott für jene bereithalte, die ihre Pflichten vernachlässigten.
    Vernachlässigte sie die ihren? Schließlich hatte das Schicksal sie zur Äbtissin eines Klosters bestimmt, die sich nicht mit solchem Eifer der Erforschung einer Vergangenheit widmen sollte, die nichts zum göttlichen Werk beitrug.
    Nun ja, aber es richtet auch keinen Schaden an, dachte sie, bevor sie in den Schlaf fiel.
    Am nächsten Tag durchquerten sie Orduña, nachdem sie bei dem Torwächter den Wegezoll entrichtet hatten. Sie kamen durch die Calle Vieja und die engen, von zwei- oder dreistöckigen, meist steinernen Häusern gesäumten Gassen. An vielen Fassaden prangten große Wappen, die bewiesen, wie vornehm die alte Stadt war, auf die ihre Bewohner so stolz waren. Sie verließen die Stadt durch das Tor in Richtung Bilbao und durchquerten immer grünere Täler und Berge. Sie konnten beobachten, dass neben befestigten Ortschaften und zahlreichen Wehrhöfen auch einsame, weit verstreut liegende Gehöfte zu sehen waren. María wunderte sich, dass die Bauern in einer Gegend, wo es dem Anschein nach häufig zu Kämpfen und Überfällen kam, den Mut hatten, so für sich zu leben.
    »Das ist unsere Art«, erklärte der Hauptmann auf ihre Frage hin. »Der Biskayer lebt gerne unabhängig und gemäß dem Sprichwort: Miteinander, aber nicht durcheinander. Einige dieser Dörfer, müsst Ihr außerdem wissen, gehören nicht zur Grafschaft Biskaya, obwohl sie auf deren Gebiet liegen. Sie sind Eigentum des Herrn von Aiala, dem ausgedehnte Güter in der Provinz Álava gehören, und wurden Kastilien einverleibt. Das Dorf Laudio zum Beispiel gehörte einmal zur Grafschaft Biskaya, doch dann erwarb es Doña Leonor de Guzmán von den Mendozas und verkaufte es später ihrerseits an die Aialas.«
    Es war befremdend zu hören, dass man ganze Dörfer mitsamt ihrer Einwohner wie eine Ware kaufen und verkaufen konnte, obgleich sie wusste, dass dies ebenso in Kastilien und wahrscheinlich auch in Aragón geschah. Sie war auch über die farbenfrohe Kleidung der Menschen erstaunt, die sich sehr von jener in Kastilien unterschied, und über die eigentümliche Sprache, derer sie sich bedienten. Inés und Don Gonzalo waren in ihrem Element. Sie plauderten und scherzten mit den Bauern, derweil sie selbst, Joaquina und Antoñino kein einziges Wort

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